Vom Traum zum Trauma: Schwimmen mit Delfinen

Gastbeitrag: Die schonungslose Realität des Schwimmen mit Delfinen auf den Azoren
In diesem Gastbeitrag berichtet Whale-Watching-Expertin Lynn Kulike über die Schattenseiten einer nur scheinbar harmlosen Touristenattraktion auf den Azoren: dem Schwimmen mit Delfinen. Was als unvergessliches Naturerlebnis beworben wird, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als massiver Eingriff in das Leben und Verhalten freilebender Meeressäuger. Der Text zeigt schonungslos auf, wie kommerzielle Delfin-Schwimmtouren den Tieren schaden. Er ist zugleich ein Appell an Tourist:innen, ihr Verhalten zu hinterfragen und respektvolle Begegnungen mit Delfinen in den Vordergrund zu stellen – zum Wohl der Tiere.
von Lynn Kulike
Leider ist es auf den Azoren, den traumhaften Inseln mitten im Atlantik, und vielen anderen Orten auf der Welt bis heute erlaubt, mit verschiedenen Arten von Delfinen zu schwimmen. Was ein über Jahrhunderte von uns Menschen gehegter Traum ist, kann für die Tiere schnell zum Albtraum werden. Whale-Watching-Unternehmen verkaufen teuer die von Hollywood geprägte Phantasterei, mit Flipper unter Wasser zu spielen und der beste Freund des Delfins zu werden.
Ich arbeite seit zehn Jahren in Lajes do Pico im Bereich des Whale-Watchings und habe die ersten zwei Jahre auch das Delfinschwimmen betreut. Im gesamten Zeitraum ist es nicht ein einziges Mal vorgekommen, dass auch nur eines der Tiere Neugierde oder gar Verspieltheit gegenüber den Menschen zeigte.
Allein an der Südküste Picos finden sich im Sommer rund 30 Boote ein, die teilweise bis zu 50 Touristen an Bord haben, die Wale sehen und / oder mit Delfinen schwimmen wollen. Delfine wollen von sich aus nichts mit uns Menschen zu tun haben und stellen ihr Verhalten meist schon nach dem ersten Kontakt auf Flucht um – sie gelten dann als „verbrannt“, wie man hier sagt. Um trotzdem Begegnungen zu erzwingen, fahren die Boote den Tieren voraus, schneiden ihnen den Weg ab und lassen die Tourist:innen so schnell wie möglich direkt vor der Delfingruppe ins Wasser.
So haben die Schwimmer:innen – mit viel Glück und etwas Erfahrung – die Möglichkeit, die fliehenden Delfine unter sich im Wasser zu beobachten, bevor diese den Kurs wechseln und verschwinden. Diese Szenerie wiederholt sich anschließend. Sind die Delfine zu scheu oder gibt es keine andere, noch nicht „verbrannte“ Gruppe in der Nähe, wird im Kreis um die Tiere gefahren, um sie an einer Stelle zu halten und die nächsten Schwimmer:innen ins Wasser zu lassen.
Werbevideo für Schwimmen mit Delfinen
Der Druck auf die Bootsführer:innen ist sehr hoch, da die meisten Unternehmen die Garantie geben, die Tiere unter Wasser zu sehen – und es bei einem Misserfolg das Geld zurückgibt. In drei Stunden Ausfahrt jedoch zwölf bis 50 Personen mit den Tieren zusammenzubringen – auf eine Art, die eine gute Sichtung ermöglicht – ist schlicht ausgeschlossen.
Per Gesetz dürfen nur zwei Schwimmer:innen zur gleichen Zeit im Wasser mit den Tieren sein. Der finanzielle Druck jedoch führt dazu, dass dies oft nicht eingehalten wird. Ich habe schon häufig bis zu acht Personen zur selben Zeit im Kreis um die Delfine herum gesehen. Kontrollen gibt es keine.
"Wir unterbrechen das natürliche Verhalten der Tiere auf brutale Art"
Was das mit den Tieren macht, ist offensichtlich. Man stelle sich nur einmal vor, mitten aus dem Nichts würden bei uns zu Hause mit viel Krach fremde Wesen im Wohnzimmer stehen und versuchen, sich uns zu nähern oder uns sogar anzufassen. Oder im Schlafzimmer? Mit einem Säugling im Arm? Beim Abendessen? Genau das ist es, was passiert. Wir unterbrechen das natürliche Verhalten der Tiere auf brutale Art und sorgen dafür, dass sie sich ängstigen und fliehen müssen. Und das jeden Tag von halb neun Uhr morgens bis neun Uhr am Abend.
Eine holländische Forscherin in Ribeiras auf Pico, Karin Hartman (sehenswert: Film zu Rundkopfdelfinen (Scars)), hat ihr Leben und ihr tägliches Interesse den Rundkopfdelfinen gewidmet und bewiesen, dass sich der Alltag der Tiere seit dem Beginn des Delfinschwimmens drastisch geändert hat. Fresszeiten wurden auf die Mittagspause und auf die Zeit nach den Ausfahrten der Unternehmen verlegt, Sozialisierung und Fortpflanzung sind weniger geworden, weil die scheuen Kühe sich nicht mehr an die Gruppen der Bullen herantrauen, deren Gebiete von Booten übersät sind. Sichtungen von Kälbern nehmen ab bzw. sind praktisch kaum noch vorhanden.
Dieses Video zeigt das Abschneiden des Weges der Delfine mit dem Touristen-Boot.
Wir haben großes Glück, wenn wir vom Boot aus die Tiere mit ihrem natürlichen Verhalten beobachten können – das sie zeigen, wenn wir nicht im Wasser sind. Selbst hier muss aber sehr genau darauf geachtet werden, wie man sich den Tieren nähert, wie lange man bleibt und welche Signale die Tiere aussenden. Wenn das berücksichtigt wird, kann Whale- und Dolphin-Watching für Mensch und Tier ein freudiges Erlebnis sein, aber Delfinschwimmen im offenen Meer wird diese Kriterien niemals erfüllen können. Unser Traum ist der absolute Albtraum der Tiere.
Fünf Arten, ein Problem: Wer den Druck des Tourismus aushalten muss
Es gibt fünf verschiedene Arten, mit denen das Schwimmen auf den Azoren offiziell erlaubt ist: Streifendelfine, Große Tümmler, Fleckendelfine, Gemeine Delfine und die residenten Rundkopfdelfine.
Streifendelfine sind Schönheiten, die schon auf antiken griechischen Töpferarbeiten und in Märchen und Mythen verewigt wurden. Sie können auf bis zu 50 km/h beschleunigen und wie Flummis über das Wasser davonspringen. Dieses Verhalten ist regelmäßig dann zu beobachten, wenn sich auch nur ein Boot langsam nähert. Wie sollte unter diesen Umständen jemals ein Mensch die Chance haben, mit den Flitzern ins Wasser zu gehen? Absolut unmöglich. Bleiben also noch vier Arten.


Eine kleine Population Großer Tümmler ist auf den Azoren resident. Verfolgt man jedoch die Statistiken, wird schnell klar, dass die typischen „Flipper“-Delfine nicht jeden Tag zu sehen sind. Neugier gegenüber den Booten kommt ab und zu vor, jedoch selten und meistens auf wenige Minuten beschränkt. Regelmäßige Sichtungen gibt es nicht, also ist auch das eine Spezies, mit der das Schwimmen nur selten möglich ist.
Auch die Gemeinen Delfine kann man theoretisch das ganze Jahr über auf den Azoren beobachten. Im Sommer, in der Hauptsaison jedoch, kommen die Fleckendelfine aus südlicheren Gewässern hoch zu den Azoren. Als eine Art, welche die gleiche ökologische Nische besetzt wie die Gemeinen Delfine, verdrängen sie letztere im Sommer zum Großteil aus den azoreanischen Gewässern.

Somit sind die tropischen Fleckendelfine und die residenten Rundkopfdelfine jene beiden Arten, auf deren Rücken die Hauptlast des Delfinschwimmens liegt.
Die Fleckendelfine, kleine, neugierige und verspielte Delfine, meist in großen Gruppen unterwegs, vermitteln den Tourist:innen auf den Booten schnell den Eindruck, dass sie unsere Freunde sein wollen. Surfen in der Bugwelle, neugieriges Beobachten des Propellers, seitliches Schwimmen neben dem Boot, das es bei guten Sichtverhältnissen ermöglicht, den Tieren in die Augen zu schauen – das alles reizt dazu, die Rückenflosse eines der Tiere schnappen zu wollen und mit ihm als bester Freund die Weltmeere zu erkunden.

Leider sehen die Delfine das ganz anders. Sobald die ersten Schwimmer:innen vom Boot ins Wasser gelassen werden , tauchen die Tiere 50, 60 Meter tief ab und verschwinden so schnell es geht. Das Verhalten dem Boot gegenüber verändert sich in der Folge schlagartig: Von Neugier keine Spur mehr. Was auch immer die Tiere vorher taten (jagen, spielen, sozialisieren, ruhen), wird unterbrochen und die Flucht nach vorn wird angetreten. „Verbrannt“ – nicht mehr geeignet für den Kontakt mit Menschen.

Die bis zu vier Meter großen und im Laufe ihres Lebens immer weißer werdenden Rundkopfdelfine sind schon allein wegen ihrer Erscheinung ein Spektakel. Im jungen Alter olivbraun bis grauschwarz, verfärbt sich in den 30 bis 40 Jahren ihres Lebens die Haut der Tiere, bis sie strahlend weiß wird und an Belugas erinnert. Eine Interaktion mit Booten und Menschen ist kaum vorhanden.
Bei den residenten Gruppen männlicher Rundkopfdelfine lässt sich eine gewisse Toleranz gegenüber Booten beobachten. Ihre Reviere liegen nahe der Küsten der Inseln, weshalb sie zu den zuverlässigsten Sichtungen gehören.
Seit über 35 Jahren durchqueren von März bis November täglich zahlreiche Whale-Watching-Boote ihre Territorien auf der Suche nach den Tieren – mit der Folge, dass sich ein weitgehend gleichgültiges Verhalten gegenüber den Booten eingestellt hat. Neugier zeigen diese Delfine gegenüber menschlichen Einflüssen nicht, doch ihre Gelassenheit verleitet oft dazu, sich ihnen im Wasser zu nähern, um ihr faszinierendes Sozialverhalten aus nächster Nähe zu beobachten.
Appell an die Vernunft: Beobachten statt bedrängen
Durch die jahrelange Koexistenz mit den Whale-Watching-Booten kann man bei dieser Art vielleicht sogar das Glück haben, einmal ein bisschen näher heranzukommen und einen der Delfine in seinem Element für einen sehr kurzen Zeitraum zu beobachten. Doch zu welchem Preis?
Warum hält sich das Bild des dressierten Delfins, der unser bester Freund sein will, so hartnäckig in den Köpfen der Leute? Auf einer Safari würden wir auch nicht auf die Idee kommen, mit einem Löwen kuscheln zu wollen, nur weil er so flauschig aussieht.
Lasst den Tieren ihr Element und geht nicht mit Delfinen und Walen ins Wasser! Wählt Whale-Watching-Unternehmen sorgfältig aus. Informiert euch über die Prioritäten der Unternehmen. Unterstützt keinen Massentourismus.
Wichtige Links zum Thema:
• Futurismo mit Sitz auf der Hauptinsel Sao Miguel und Pico hat das Schwimmen der Delfine letztes Jahr eingestellt. Hier ist der Link zu ihrem Statement: https://www.futurismo.pt/de/einstellung-der-forderung-von-schwimmen-mit-delfinen-touren/

Zur Autorin:
Lynn Kulike wurde 1988 als Tochter zweier Biologen in Berlin geboren, wendete sich nach einem abgeschlossenen Jurastudium der menschlichen Psyche zu und arbeitete einige Jahre in einer psychiatrisch/psychologischen Praxis. Doch die Sehnsucht nach der Natur obsiegte, und so folgte sie schließlich ihrem Lebenstraum, den Alltag mit Walen und Delfinen zu verbringen. Seit zehn Jahren lebt sie auf den Azoren und teilt ihre Leidenschaft für die Tiere und ihren Einsatz für deren Wohlergehen mit Besucher:innen und Wissenschaftler:innen.