Delfintherapie
Geschäftemacherei auf Kosten der Patienten und der Delfine
Delfintherapie
Geschäftemacherei auf Kosten der Patienten und der Delfine
Die Delfintherapie, im Englischen dolphin-assisted therapy (DAT), hat seit vielen Jahren Konjunktur, weltweit entstehen immer mehr Einrichtungen, in denen es erkrankten oder behinderten Menschen, vor allem Kindern, ermöglicht wird, mit in Gefangenschaft lebenden Delfinen zu schwimmen. Die Anlagen reichen von kleinen Becken bis zu Meeresgehegen. Die DAT ist stark umstritten, zumal ihre Wirksamkeit, von einzelnen Erfolgen abgesehen, bislang wissenschaftlich nicht bewiesen werden konnte.
Mit Delfinschwimmen und Delfintherapie lässt sich sehr viel Geld verdienen.
Eine meist empfohlene 14-tägige Delfintherapie kostet in der Regel mehrere Tausend Euro, ohne Reise- und Unterbringungskosten! Wir lehnen DAT und natürlich generell die Gefangenschaftshaltung von Delfinen ab, weil die intelligenten, sozial hoch entwickelten Meeressäuger nicht artgerecht gehalten werden können.
Delfine als Therapeuten
Ob Depressionen, Autismus, Kinderlähmung, geistige und körperliche Behinderungen – vom Schwimmen mit den Meeressäugern verspricht man sich Linderung oder Heilung bei diversen Krankheitsbildern. Als Grund hierfür wird meist das freundliche Wesen der Delfine gegenüber Menschen genannt, aber auch die Ultraschallwellen des Biosonars der Meeressäuger sollen heilen können.
Ihren Ursprung dürfte die Faszination, die diese Tierart auf uns Menschen ausübt, in einem im Tierreich einzigartigen Phänomen haben: Delfine sind Raubtiere, doch nähern sie sich dem Menschen neugierig und freundlich, sogar Schiffbrüchige haben sie schon gerettet.
Diese artübergreifende Hilfsbereitschaft hat sicherlich auch dazu beigetragen, dass man ihnen im Laufe der Zeit allerlei heilbringende Eigenschaften andichtete.
Anfänge
Die Delfintherapie kam in den 1970er-Jahren auf. Die Gründung wird sowohl dem Neuropsychologen und Verhaltensforscher Dr. David Nathanson als auch der amerikanischen Anthropologin Betsy Smith zugesprochen, die sich jedoch später davon distanzierte: “Manche Therapeuten, die keinerlei Kenntnisse über Delfine haben, berechnen exorbitante Honorare für Behandlungen, die auch ohne Delfine durchgeführt werden könnten. […] Im Kern all dieser Therapieprogramme steht die Ausbeutung von verletzlichen Menschen und verletzlichen Delfinen“, wie sie 2003 in einem Essay schrieb.
Unfundierte Heilversprechen
Tatsächlich gibt es keine Studien, die Heilungserfolge durch DAT belegen. Bisherige Untersuchungen zur Delfintherapie enthielten so eklatante methodische Mängel, dass eine nachhaltige positive Wirksamkeit nicht nachweisbar sei, wie die Delfinexpertin und Neurowissenschaftlerin Dr. Lori Marino gemeinsam mit ihrem Kollegen Scott Lilienfeld herausfand.
So wurden laut Morino keinerlei Kontrollstudien über sogenannte “unspezifische” Wirkfaktoren durchgeführt, also Besserungen, die nicht speziell mit den Delfinen in Zusammenhang stehen, sondern auf eine neue Umgebung, neue Menschen und ähnliche Faktoren zurückzuführen sind. Auch fehlten Vergleichsstudien mit anderen Tieren, wie Hunden, oder Studien über Therapien ohne Tiere, aber unter ähnlichen Bedingungen wie bei der DAT, wie z. B. sonnige Umgebung, Wasser und intensive Beschäftigung mit dem Patienten. Viele Faktoren können also für die vereinzelt berichteten Besserungen von Patienten verantwortlich sein.
Viele Patienten empfinden Angst vor den riesigen, unbekannten Tieren
Auch die vermeintlich heilsame Wirkung von Ultraschallwellen des Delfinbiosonars wurde 2003 vom Delfinexperten Dr. Karsten Brensing und seinen Kollegen von der Freien Universität Berlin nicht bestätigt. In ihrer Untersuchung machten sie nebenbei eine interessante Beobachtung: “… viele Patienten interagierten in den ersten Sitzungen nur zögerlich mit den Delfinen, weil sie vor den riesigen, unbekannten Tieren Angst hatten”.
Leid in Gefangenschaft
Delfine sind hoch entwickelte soziale Lebewesen mit komplexen Lebensformen. Sie können in Gefangenschaft grundsätzlich nicht artgerecht gehalten werden. Wer diese faszinierenden Tiere einmal in freier Wildbahn beobachtet hat, weiß, welche Strecken sie in kurzer Zeit bewältigen können, wie abwechslungsreich ihr Tagesablauf und wie vielgestaltig ihr Lebensraum ist.
Ihre Reviere können sich über mehrere Hundert Kilometer erstrecken, sie jagen, spielen, ruhen oder beschäftigen sich mit der Aufzucht des Nachwuchses. Ihre natürliche Umgebung bietet eine Vielfalt an Lebewesen und geomorphologischen Formen, die sie mit ihrem Biosonar erkunden. All dem kann eine Haltung in Gefangenschaft nie gerecht werden, egal ob es sich um ein tristes Betonbecken oder ein Meeresgehege handelt.
Gefahren für wild lebende Populationen
Da Delfine in Gefangenschaft meist aus freier Wildbahn stammen, hat die Entnahme einzelner Tiere für die Bestandserhaltung lokaler Populationen dramatische Konsequenzen. Grundsätzlich besteht durch den hohen “Verschleiß” von Delfinen in der Gefangenschaftshaltung großer Bedarf an “Nachschub”. Denn ihre Lebenserwartung ist aufgrund des artwidrigen Lebens und des durch die häufigen, erzwungenen Kontakte mit Menschen beim Delfinschwimmen verursachten Stresses deutlich kürzer.
Bei den meist mit brutalen Methoden durchgeführten Fangaktionen erleiden die intelligenten Meeressäuger ein extremes Trauma, die Verlustraten während des Fangs und in den ersten Monaten in Gefangenschaft liegen bei ca. 50%. Da Delfinarien – der besseren Verträglichkeit wegen – bevorzugt weibliche Tiere halten, schädigt die Entnahme die Überlebensfähigkeit einer gesamten Population. Darüber hinaus werden soziale Verbände auseinandergerissen und dabei wichtige soziale Bindungen zerstört.
Diesen Fakten wurden 2014 erstmals in der Artenschutzkonferenz CMS (Convention on the Conservation of Migratory Species) mit einer Resolution gegen Lebendfänge von Delfinen und Walen für Delfinarien Rechnung getragen. Die CMS-Mitgliedsländer sind jetzt u.a. gefordert, nationale Gesetze zu schaffen, die den Fang wild lebender Delfine und Wale zu kommerziellen Zwecken verbieten. Viele Faktoren können also für die vereinzelt berichteten Besserungen von Patienten verantwortlich sein.
Blutiges Geschäft
Etliche “Therapie-Delfine” stammen aus den brutalen Delfinjagden im japanischen Taiji. Fischer treiben Hunderte von Delfinen in eine Bucht, wo sie bis auf wenige Exemplare alle abschlachten. Während die meisten Tiere zum menschlichen Verzehr getötet werden, ist der Hauptantrieb für diese Barbarei der lukrative Erlös aus dem Verkauf von lebenden Delfinen. Denn einige “besonders schöne” Exemplare werden aussortiert und an Delfinarien in der ganzen Welt verkauft.
Bis zu 200.000 Dollar werden für einen Großen Tümmler auf den Tisch gelegt, die häufigste Art in Delfinarien und in der Delfintherapie. Taiji-Delfine landen in Gefangenschaft in vielen Ländern weltweit, unter anderem auch in der Türkei, wie GRD-Experten bei einer Überprüfung türkischer Delfinarien vor Ort herausfanden, oder in dem von einem deutschen Delfintrainer betriebenen “Friguia Park” mit DAT-Angebot in Tunesien.
Your Tears Are Mine
Risiko von Bissen und Verletzungen beim Schwimmen mit Delfinen
Das Schwimmen mit Delfinen, besonders in einer Gefangenschaftssituation, kann für den Menschen gefährlich sein. Nicht nur können die vermeintlich ewig lächelnden Großen Tümmler gelegentlich auch aggressives Verhalten an den Tag legen oder im Spiel oder bei der Balz rabiat werden.
Ein höheres Aggressionspotenzial besteht allein schon durch die künstliche Gefangenschaftssituation, die das das Risiko von Bissen und Verletzungen durch stressbedingte Beiß- oder Rammattacken – ein erwachsener Großer Tümmler kann seine bis zu 600 kg Körpergewicht mit unglaublicher Schnelligkeit durchs Wasser katapultieren -, mit ungeahnten und gefährlichen Folgen erhöht.
Infektionsrisiken für Mensch und Tier
Hinzu kommen Infektionsrisiken, nicht nur von Mensch auf Delfin, sondern auch umgekehrt. Erkrankungen können außerdem hervorgerufen werden durch einen hohen Anteil an Fäkal- und Fäulnisbakterien durch Nahrungsreste in ungenügend gefiltertem Wasser oder durch eine Vielzahl von Mikroorganismen, die üblicherweise in einem Aquarium oder in Meerwasserumgebung auftreten, als auch durch Mikroorganismen, die zur normalen Flora der Meeressäuger gehören.
Alternativen
Dass Tiere Türen öffnen können, steht außer Frage. Doch es gibt bessere und tierfreundliche Alternativen zur DAT: als “Therapeuten” fungieren hier unter anderem Hunde, Pferde oder Esel.
Anders als Delfine, die aus ihrem natürlichen Lebensraum gerissen werden, um in Gefangenschaft ein artfremdes, dressiertes Dasein zu fristen, handelt es sich bei diesen “Therapeuten” um Haus- und Nutztiere. Sie sind domestiziert und können in menschlicher Umgebung ein durchaus artgerechtes Leben führen. Diese tiergestützte Therapieform bietet viele Vorteile: Sie kann einer Therapie im eigentlichen Sinne tatsächlich gerecht werden, weil sie längerfristig angelegt werden kann, sie ist deutlich kostengünstiger und sie kommt ohne Tierleid aus.
Um mit Betsy Smiths Worten zu sprechen: “Vielleicht ist es an der Zeit, die Delfine endlich in Ruhe zu lassen.”
Ulrike Kirsch – Aus “Leben mit Tieren”, Ausgabe 3/2015