Natur- und Tierschutzschutzverbände reichen Beschwerde bei der Europäischen Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland ein
Ampelkoalition betreibt unionsrechtswidrigen Abbau des Natur- und Artenschutzes
München, 27.04.2023 – Die Naturschutzinitiative e.V. (NI), der Verein für Landschaftspflege, Artenschutz und Biodiversität e.V. (VLAB) und die Gesellschaft zur Rettung der Delphine e.V. (GRD) reichen wegen fortlaufender und systematischer Verstöße gegen das EU-Naturschutzrecht eine Beschwerde bei der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland ein.
Verstoß gegen Unionsrecht
Das Ziel ist es, dass der Europäische Gerichtshof die Unvereinbarkeit der neuerlichen Gesetzesänderungen mit dem europäischen Recht feststellt. „Außerdem werden wir in dafür aktuell geeigneten Klageverfahren bei den Obergerichten beantragen, dass diese eine Vorlage beim Europäischen Gerichtshof veranlassen. Erst kürzlich hatte der EuGH die Bedeutung der Vorlagepflicht durch die nationalen Gerichte verdeutlicht und klargestellt, welche Kriterien die nationalen Gerichte zu beachten haben“, betonten Harry Neumann, Vorsitzender der Naturschutzinitiative e.V. (NI), Johannes Bradtka, Vorsitzender des Vereins für Landschaftspflege, Artenschutz und Biodiversität e.V. (VLAB) und Sigmar Solbach, Vorsitzender der Gesellschaft zur Rettung der Delphine e.V. (GRD).
Der Deutsche Bundestag habe mit den jüngsten Gesetzesänderungen die Reihe „Unionsrechtswidriger Abbau des Naturschutzes, ohne den Ausbau der erneuerbaren Energien zu erreichen“, fortgesetzt, betonen die drei Verbände.
"Dies werden wir nicht akzeptieren"
Ein von der Naturschutzinitiative e.V. (NI) in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten komme nun zu dem Ergebnis, dass abermals systematische Verstöße gegen das Recht der Europäischen Union vorlägen. „Die Gesetzesänderungen schleifen die Naturschutzstandards und bauen den Schutz der Biodiversität auf rechtswidrige Art und Weise ab. Dies werden wir nicht akzeptieren“, erklärten die Verbandsvertreter.
Es erweise sich als Schönfärberei, wenn Bundesumweltministerin Lemke dazu äußert: „Wir gehen damit bei der Bekämpfung der doppelten ökologischen Krise, der Klimakrise und dem Artenaussterben, entschlossen voran. Wir ermöglichen effiziente und rechtssichere Planungsverfahren […]“. Das Ziel, Rechtssicherheit für den Ausbau alternativer Energien zu schaffen, werde völlig konterkariert, so die drei Umwelt- und Tierschutzverbände.
Der beschleunigte Ausbau der Windenergie geht mit einer massiven Gefahr für die Artenvielfalt über und unter Wasser einher.
So sei es nicht hinnehmbar, dass im Genehmigungsverfahren die Umweltverträglichkeitsprüfung und die artenschutzrechtliche Prüfung wegfallen solle. Das für alle Mitgliedstaaten verbindliche Recht der Europäischen Union werde missachtet, der Gesetzgeber lasse sich einseitig von der Windenergielobby vor sich hertreiben.
„Wir sind nicht bereit, die praktische Abschaffung des Natur- und Artenschutzes durch die Ampelkoalition unter Führung des grünen Wirtschaftsministers Habeck klaglos hinzunehmen.
Die Pläne von Wirtschaftsminister Habeck stellen einen massiven und rechtswidrigen Angriff auf den Natur- und Artenschutz sowie auf die Beteiligung von Bürgern und Umweltverbänden dar. Sie konterkarieren die Ergebnisse der Weltnaturkonferenz in Montreal zum Schutz der Biodiversität, also unserer Lebensgrundlage. Daher werden wir eine EU-Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland einreichen”, so Harry Neumann, Johannes Bradtka und Sigmar Solbach.
Das vollständige Rechtsgutachten des renommierten Umweltrechtlers und Rechtsanwaltes für Verwaltungsrecht Dr. Rico Faller, Kanzlei Caemmerer Lenz, Karlsruhe, finden Sie hier.
Hintergrundinformationen
Mit diesen Änderungen knüpft der Bundesgesetzgeber an Gesetzesänderungen in den letzten Monaten und Jahren an, die sich ebenfalls dadurch auszeichnen, dass sie das für alle Mitgliedstaaten verbindliche Recht der Europäischen Union missachten, indem sich der Gesetzgeber einseitig von der Windenergielobby vor sich hertreiben lässt. Bereits das Investitionsbeschleunigungsgesetz aus dem Jahr 2020 hat zu einem unionsrechtswidrigen Abbau des Naturschutzes geführt, und erst recht die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahr 2022 („Osterpaket“), zu dem die Naturschutzinitiative (NI) ein sehr ausführliches und fundiertes Rechtsgutachten des renommierten Umweltrechtsspezialisten Dr. Rico Faller (Caemmerer Lenz, Karlsruhe) vorgelegt hat:
Rechtsgutachten: Gravierende Mängel beim Natur- und Artenschutz: Ein weiteres von der Naturschutzinitiative (NI) in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten von Dr. Rico Faller zeigt bereits jetzt, dass auch bei den jüngsten Gesetzesänderungen gravierende Mängel vorliegen und dass die im Gesetzgebungsverfahren auch von anderen Experten geäußerte Kritik nur teilweise ernst genommen wurde:
1. Der neue § 6 WindBG sieht im Genehmigungsverfahren einen Entfall der Umweltverträglichkeitsprüfung und der artenschutzrechtlichen Prüfung nach § 44 Abs. 1 BNatSchG vor, soweit die Errichtung und der Betrieb einer Windenergieanlage in einem „Windenergiegebiet“ beantragt ist, bei Ausweisung des Windenergiegebiets eine Umweltprüfung nach § 8 ROG oder nach § 2 Abs. 4 BauGB durchgeführt wurde und das Windenergiegebiet nicht in einem Natura-2000-Gebiet, Naturschutzgebiet oder einem Nationalpark liegt. Mit Art. 6 der EU-Notfallverordnung lässt sich diese Regelung nicht vereinbaren, da sie wesentlich geringere Anforderungen an das Vorliegen eines Windenergiegebietes („Go to“-/Beschleunigungsgebietes) stellt, als das Recht der Europäischen Union. Während das Unionsrecht Abweichungen vom Naturschutzrecht nur in Gebieten zulässt, die für Windenergie besonders geeignet sind und bei denen keine erheblichen Umweltauswirkungen zu erwarten sind, lässt das deutsche Recht diese Abweichungen auch in Gebieten zu, in denen solche Auswirkungen zu erwarten sind.
2. Auch mit der Regelung, wonach die artenschutzrechtlichen Prüfung nach § 44 Abs. 1 BNatSchG in Windenergiegebieten entfallen soll, bleibt der Bundesgesetzgeber hinter den unionsrechtlichen Anforderungen zurück. Das Unionsrecht geht hier differenzierter vor als der Bundesgesetzgeber, indem lediglich einige Aspekte der artenschutzrechtlichen Prüfung in Windenergiegebieten und dies auch nur unter weiteren Voraussetzungen temporär für entbehrlich erklärt werden.
3. Die unter Umständen in Betracht kommende Möglichkeit, sich von artenschutzrechtlichen Vorschriften durch Zahlungen, die einem Artenhilfsprogramm zufließen sollen, frei zu kaufen, ist ebenfalls im Unionsrecht zurückhaltender geregelt als dies in § 6 WindBG vorgesehen ist.
4. Unionsrechtliche Bedenken begegnen auch die Regelungen in § 49 UVPG, wonach Umweltauswirkungen im Rahmen einer Raumverträglichkeitsprüfung nur noch überschlägig geprüft werden sollen. Dass dann später im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren eine gründliche Umweltverträglichkeitsprüfung stattfinden soll, kann diesen Mangel nicht kompensieren. Der Grundsatz der Frühzeitigkeit als Teil des Vorsorge- und Vorbeugeprinzips in der UVPG-Richtlinie und auch im Primärrecht der Europäischen Union verträgt sich damit nicht, wie der Bundesgesetzgeber selbst schon einmal in einer früheren Gesetzesbegründung festgestellt hat.
Fotos: Pixabay
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