Schiffskollisionen mit Walen und Delfinen: Zwischen tödlichen Hot-Spots und Hoffnungsschimmern
Wann beginnen die Reedereien endlich, den Tod zu umfahren?
Ein zerteilter Pottwal schwimmt vor La Gomera – für unsere Projektpartner von M.E.E.R. e.V. ein ebenso trauriger wie bekannter Anblick. Hier um die Kanaren wie auch auf anderen stark befahrenen Wasserstraßen stellen Kollisionen von Meeressäugern mit Schiffskörpern ein immenses Problem dar. Auswege aus dem Dilemma sind Umwege für die Frachter und Fähren oder aber Geschwindigkeitsreduzierungen. Wie empfänglich sind Reedereien auf solche Strategien?
Kanaren gelten international als „Hot Spot“ für Kollisionen zwischen Schiffen und Walen
Die globale Datenbank zur Erfassung von Kollisionen zwischen Schiffen und Walen kennt inzwischen fast 100 Fälle allein für die Kanaren. Die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher sein, denn längst wird nicht jeder Zwischenfall gemeldet. Wenn dann doch ein Fall untersucht wird, wie jener des zerteilten Pottwals vor der Küste von La Gomera im November 2021, gilt es zunächst die Todesursache zu klären. „Die entscheidende Frage ist, ob der Wal bereits tot war, als er überfahren wurde oder ob die Kollision mit einem Schiffsrumpf zum Tod geführt hat“, erklärt Meeresschutzexperte sowie Gründer, 1. Vorstand und wissenschaftlicher Leiter unseres Projektpartners M.E.E.R. e.V.
Kollisionen liegen für viele Außenstehende auf der Hand, schließlich verkehren zwischen den kanarischen Inseln Dutzende Hochgeschwindigkeitsfähren. Und dass die Säugetiere regelmäßig zum Atmen an die Wasseroberfläche kommen müssen und dabei Gefahr laufen, von einem Schiff erfasst zu werden, ist absolut realistisch. Vertreter der Reedereien argumentieren hingegen, dass die Tiere bereits leblos im Wasser getrieben haben könnten als sie vom Schiff getroffen wurden. Eine Standard-Reaktion, um sich der Verantwortung zu entziehen?
Opfer einer Hochgeschwindigkeitsfähre? Zerteilter Pottwal vor La Gomera (Foto: M.E.E.R. e.V.)
Mit 70 km/h durchs Meer – rette sich, wer kann!
Fakt ist, dass die Zahl der Kollisionen nicht abflacht. Nach Informationen von Fabian Ritter sind es jährlich Dutzende Fälle in den Gewässern der Kanarischen Inseln – auch weil die Fährverbindungen zum Teil direkt durch Schutzgebiete verlaufen. Das effektivste Mittel für eine Reduzierung der Kollisionen wären Geschwindigkeitsregulierungen wie in der Straße von Gibraltar. Dagegen verwehren sich die Reedereien allerdings. Im Gegenteil: Es werden immer neue, schnellere Schiffe in Betrieb gestellt. Jüngster Neuzugang war im Herbst ein 118 Meter langer Trimaran mit Platz für 1.100 Passagiere und 276 Fahrzeuge. Die Fähre erreicht maximale Reisegeschwindigkeiten von 38 Knoten, was rund 70 km/h entspricht.
Derweil zeigen Studien, dass die Pottwal-Population auf den Kanaren vom Aussterben bedroht ist, wenn diese Gefahr nicht bald gemindert wird. Insbesondere unerfahrene Jungtiere sind besonders bedroht. Meist werden Wale von Schiffen regelrecht gerammt und dabei vom Bug getroffen. Seltener stoßen Wale beim Auftauchen von unten gegen den Rumpf. Besonders gefährlich sind Fälle, bei denen die Tiere in Kontakt mit der Schiffsschraube kommen.
Wal-Populationen schrumpfen – Reedereien müssen Verantwortung übernehmen
Die Kanaren sind nur ein Beispiel für die durch immer mehr Schiffsbewegungen wachsende Gefahr für Meeressäuger. In einigen Regionen der Welt, etwa in der Arktis, hat sich der Seeverkehr zwischen 2013 und 2018 verdoppelt. Anderswo sind viermal so viele Frachter unterwegs. In der gleichen Zeit – und bis heute – haben sich im Vergleich dazu die Populationen der Meeressäuger verringert. Wal- und Beifang durch die Fischerei spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Schiffskollisionen.
Exemplarisch kann in diesem Kontext der Nordatlantische Glattwal genannt werden. Sein wichtigster Lebensraum sind die stark befahrenen Gewässer vor der Ostküste der USA und Kanadas. Schon jetzt ist diese Art stark bedroht – die Sterblichkeit aufgrund von Schiffskollisionen kann schlussendlich den Unterschied zwischen Aussterben und Überleben ausmachen.
Wie können Lösungen für die Verringerung von Zusammenstößen zwischen Schiffen und Meeressäugern aussehen?
Die Internationale Walfangkommission (IWC), bei der die erste globale Datenbank zum Thema Kollisionen zwischen Schiffen und Walen geführt wird, hat folgende Punkte herausgehoben:
- die Verringerung der räumlichen Überschneidung von hohen Walbeständen und hohen Schiffszahlen
- die Reduzierung der Schiffsgeschwindigkeiten in Gebieten mit starken Interaktionen
- Identifizierung von kleinen, schrumpfenden Populationen. Anschließende Beobachtung und Bewertung der Gefahr von Schiffsunfällen.
Kurskorrekturen für walfreundliche Schiffsrouten
Wie diese Theorien in der Praxis Anwendung finden können, zeigt ein aktuelles Beispiel aus dem Mittelmeer. Hier hat die weltgrößte Reederei MSC ihre Fahrtrouten entlang der Westküste Griechenlands verlegt, um bedrohte Pottwale zu schützen. Die Population umfasst in diesem Gebiet gerade noch 200 bis 300 Tiere. Die tief tauchenden Wale leben vor allem entlang der 1000-Meter-Tiefenlinie, die etwa 20 Kilometer vor den südwestlichen Küsten der Peleponnes und Kretas liegen. Dieses Gebiet wird jedoch durch die Schifffahrt stark frequentiert.
Bevor MSC seine Kurskorrektur im Januar vornahm, haben verschiedene NGOs Hinweise und wissenschaftliche Informationen geliefert. Dazu gehört, dass bei einer generellen Anpassung der Routen aller Schiffe in der Region die Gefahr einer Schiffskollision für Pottwale um etwa 75 Prozent sinken würde. Noch steht aus, welche Reedereien und Kreuzfahrtunternehmen dem Beispiel von MSC folgen werden. Gleichzeitig markiert dieser Fall nur die Spitze des Eisbergs. Mittel- und langfristig müssen weltweit effektive Strategien zur Vermeidung von Kollisionen zwischen Schiffen und Meeressäugern entwickelt und angewendet werden.
Eine Familiengruppe von Pottwalen vor der griechischen Küste. Die letzten 200 bis 300 Pottwale dort sind durch Kollisionen mit Schiffen gefährdet. Die Verlegung der Schiffsrouten durch MSC hilft den Pottwalen. © A. Frantzis / Pelagos Cetacean Research Institute
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