Elbvertiefung: das lautlose Sterben
Keine Zukunft für Stint und Schweinswal
Die Elbe: Einer der größten Ströme Mitteleuropas, Heimat für seltene Tier- und Pflanzenarten, Wanderzone für Schweinswal und Stint, bedeutsames Ökosystem und Wirtschaftsader Hamburgs
Seit 1818 wurden acht Elbvertiefungen durchgeführt, um die immer größer und schwerer werdenden Schiffe durch die Elbe zu bringen. Die Hamburger Behörde für Hafenwirtschaft, Verkehr und Innovation verteidigt die Elbvertiefungen und rechtfertigt eine weitere Grabung mit dem Argument der Wirtschaftlichkeit. Der Elbe droht das gleiche Schicksal wie der Ems: Sie galt einst als fischreichste Flussmündung Deutschlands. Ständige Ausbaggerungen und die folglich entstehenden Schlickbelastungen und Sauerstofflöcher zerstörten jedoch ihre biologische Vielfalt.
Containerschiffe in der Elbe.
Foto: Pixabay
Die neunte Elbvertiefung
Nach 15 Jahren Streit zwischen Befürwortern und Naturschützern hat dieses Jahr die neunte Elbvertiefung begonnen. Sie soll es schwereren und größeren Containerschiffen möglich machen, die Elbe zu befahren. Deswegen wird die Fahrrinnen von Unter- und Außenelbe auf eine Tiefe von 13.5 m angepasst. Außerdem soll eine Begegnungsbox zwischen Glücksstadt und Hamburg eingerichtet werden. Damit sollen Schiffe problemlos aneinander vorbeikommen. Das spart Zeit und somit Geld.
Quelle: Grüne Niedersachsen
Schlick und Sand
Während der Elbvertiefung sollen rund 40 Millionen m³ Sediment ausgehoben werden. Im Vergleich zur Vertiefung von 1999 ist das die dreifache Menge. Dies hat dramatische Folgen für die Umwelt:
Durch die Vertiefungen bewegen sich Sand und Schlick unkontrolliert in den Gewässern. Mit jeder Flut kommen am Hamburger Hafen mehr als 11 Millionen Kubikmeter Schlick an. Dieser wird damit zum Hindernis für Schiffe mit großem Tiefgang. Deshalb werden Bagger eingesetzt, um den Schlick abzutransportieren. Allein die Haltung der jetzigen Fahrrinnen ist für die Natur desaströs. Die Bagger sammeln dort Sand und Schlick, wo die Schiffe vorbeifahren, und kippen die Mischung woanders – schlimmstenfalls an Naturgebietsbereichen – in die Elbe.
Die Flut bringt viel davon wieder zurück in den Hafen. Die Folge für die Fische: Mehr Trübung, weniger Sauerstoff.
Trübung und Sauerstofflöcher führen zum Stintsterben
Die Baggerarbeiten setzen dem Stint zu. Der wässrige Staub erstickt die Eier der Fische und der geringe Sauerstoffgehalt schädigt die Larven extrem. Im unwahrscheinlichen Fall, dass aus dem Ei tatsächlich eine Larve schlüpft, ist es für sie im trüben Wasser unmöglich, Fressen zu finden. Sie verhungert.
Dies stellten auch Prof. Thiel von der Universität Hamburg und seinen Studenten bei wöchentlichen Befischungen in der Tideelbe fest. Bei den Untersuchungen machten sie einen Rückgang der Larven aus: Von 2.000 Larven in der ersten Woche bis 37 Larven in der dritten Woche. Stintlarven sind zwar empfindlich und ihre Sterblichkeit ist hoch, dennoch können die Trübung und der Sauerstoffmangel die Einbüßen erhöhen.
Auch die letzten Elbfischer schlagen Alarm: Bei ihrer Arbeit bemerken sie aktiv, wie der Stintbestand zurückgeht. Vor allem am Hauptstrom sind der Sauerstoffgehalt extrem niedrig und die Sauerstofflöcher extrem hoch. Hier überleben nur die robusten Elbbewohner, beispielsweise Aale.
Stint – Schlüssel zum Leben
Der Stint ist jedoch in und an der Elbe Schlüssel zum Leben. Er formt die Existenzbasis für Tiere im Ökosystem. Diese Kernart wird unter anderem von Seehund, Zander, Aal und Schweinswalen gefressen.
Mit dem Einbruch des Stints geht auch ein Rückgang von seltenen Brutvögeln einher, die sich von Stint ernähren. Beispielsweise ist die Anzahl der Flussseeschwalben von 2014 mit 2500 Brutpaaren auf 250 im Jahr 2018 geschrumpft. Das Zurückgehen der Vogelbestände ist eindeutiges Zeichen dafür, dass es an Stint fehlt. Verschwindet der Stint, verschwinden mit ihm zahlreiche Tierarten der Elbe.
Das gesamte Ökosystem im Fluss und im Wattenmeer könnte schlagartig kippen.
Flussseeschwalbe mit Stint im Schnabel.
Foto: Pixabay
Wirtschaft gegen Leben
Die Planungen der Elbvertiefung sind absolut nicht im Einklang mit den euoparechtlichen Schutzbestimmungen und der Natur. Erneut kämpft Wirtschaft gegen Natur. Dabei stellt sich die Frage, ob sich die Natur den Schiffen anpassen muss, oder umgekehrt.
Retten, was noch zu retten ist
Prof. Ralf Thiel und Dr. Veit Hennig von der Universität Hamburg tragen ihre Ergebnisse in dem Film “Der Stint: Ein Fisch und sein Fluss” vor.
Das Land Schleswig-Holstein und sein Umweltminister Jan Philipp Albrecht werden nicht nur von NABU Schleswig-Holstein, sondern auch von der Gesellschaft zur Rettung der Delphine dazu aufgefordert, “sich unverzüglich für einen sofortigen Stopp der Bauarbeiten einzusetzen, bis eine Klärung der möglichen Auswirkungen auf das angrenzende UNESCO-Welterbegebiet vorliegt und eine unabhängige, wissenschaftliche Studie zu initiieren”.
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