Gelangweilte Teenager? Forschergruppe liefert möglichen Grund für Orca-Interaktionen

Das Verhalten der Orcas ist nicht aggressiv
Seit 2020 haben Mitglieder einer Orca-Gruppe mindestens 670 Schiffe vor den Küsten von Portugal, Spanien und Marokko gerammt und einige sogar zum Sinken gebracht. Der Frage nach dem „Warum“ hat sich im Februar eine internationale Forschergemeinschaft gestellt. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass eine Gruppe gelangweilter Jungtiere nach einem spielerischen Zeitvertreib suchte. Daraus habe sich eine Marotte entwickelt: Das Spielen mit den Rudern von Booten und Schiffen.
Schäden an den Rudern ist unbeabsichtigt
Zwei Wochen, nachdem zum fünften Mal eine Yacht von Orcas so stark beschädigt wurde, dass diese vor Gibraltar auf den Grund des Ozeans sank, präsentierte eine multinationale Gruppe von Orca-Expert:innen ihren Bericht über die seit vier Jahren andauernden Interaktionen der Schwertwale. Die 29-köpfige Forschergruppe, darunter Biolog:innen und Vertreter:innen der Schifffahrtsindustrie, wurde bereits im Februar mit ihrer Arbeit von der spanischen und portugiesischen Regierung beauftragt.

Ein Orca interagiert mit dem Ruder eines Segelschiffs.
Foto: R. Stephanis
Alex Zerbini, Vorsitzender des wissenschaftlichen Ausschusses der International Whaling Commission, erklärte, dass die Wale nicht aggressiv seien und dass sie die Schäden an den Rudern unbeabsichtigt verursachen. Sein Kollege Renaud de Stephanis ergänzte laut „USA Today“, dass das Meer ein sehr langweiliger Ort für ein Tier sei. „Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Hund oder ein anderes Säugetier und können mit den Objekten um sie herum interagieren. Aber im Meer gibt es für die Orcas nicht viel, mit dem sie interagieren können, also spielen sie mit den Rudern“, so Stephanis. Zerbini mutmaßt, dass es sich um eine Gruppe gelangweilter Teenager-Orcas handeln könnte, die etwas zu tun suchen.
Orcas agieren nicht aggressiv
Die Expert:innen des Workshops kamen in ihrer Studie zu dem Schluss, dass die Interaktionen zwischen Schwertwalen und Schiffen nicht als aggressiv einzustufen sind. Vielmehr weisen diese Begegnungen Merkmale von Spiel- und Sozialisierungsaktivitäten auf. Die Verwendung von Begriffen wie „Angriff“ zur Beschreibung dieser Interaktionen sei daher ebenso unangemessen wie irreführend und sollte vermieden werden. (Lesetipp: Alle Informationen zu den Orca-Interaktionen findest Du hier)

Orca-Heatmap: In diesen Gebieten wurden die meisten Interaktionen gemeldet.
Dennoch registrierten die Workshop-Teilnehmer, dass dieses Verhalten für die Crews oftmals beängstigend ist und tatsächlich zu Schäden an Rudern und sogar zum Sinken von Schiffen führt. Jenseits von der Motivation der Wale sei es daher unerlässlich, den Besatzungen dahingehend Ratschläge zu geben, welche Maßnahmen sie ergreifen können, um Interaktionen zu vermeiden. Das Wohlergehen der Wale müsse dabei allerdings stets an erster Stelle stehen.
Können unattraktive Ruder die Interaktionen eindämmen?
Aktuell gibt es keine einzelne Lösung für die Orca-Schiff-Begegnungen – und aller Wahrscheinlichkeit nach wird es diese auch in Zukunft nicht geben. Die Forschenden stellten heraus, dass alle von den Crews angewandten Maßnahmen – sowohl legale und illegale – unwirksam gewesen sind. Dazu gehört unter anderem das Abfeuern von Leuchtraketen auf Orcas, womit sich die Besatzungsmitglieder zudem strafbar gemacht haben (wir berichteten).

Handlungsempfehlungen für Crews bei Orca-Begegnungen. Weitere Infos gibt es hier
Um die Anzahl der Vorfälle zu reduzieren, schlugen die Forscher in ihrer Studie vor, die Ruder weniger attraktiv für Orcas zu machen. Beispielsweise sollen die glatten Oberflächen der Ruder durch raue oder unebene Materialien ersetzt werden. Auch sollen in diesem Sommer akustische Tests durchgeführt werden, mit denen die Schwertwale möglicherweise abgeschreckt werden können.
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