Interview mit Sebastian Unger, Meeresbeauftragter der Bundesregierung
„Die Schweinswale in der Nordsee befinden sich in einem ungünstigen Erhaltungszustand“
Sebastian Unger ist der erste Meeresschutzbeauftragter der deutschen Bundesregierung. Mit seiner Ernennung im September 2022 möchte die Bundesregierung die wachsende Bedeutung des Meeresschutzes und die Führungsrolle, die Deutschland dabei einnehmen will, unterstreichen. Die GRD befragte den 48-jährigen Meeresbiologen zu den bedrohten Schweinswalen vor den deutschen Küsten und zur Rolle des Walschutzgebietes vor Sylt.
3 Fragen an: Sebastian Unger, Meeresbeauftragter der Bundesregierung
GRD: Herr Unger, welche Bedrohungen erachten Sie für die Schweinswale in der Nordsee als am bedeutsamsten?
Sebastian Unger: Die Schweinswale in der Nordsee befinden sich in einem ungünstigen Erhaltungszustand und gelten insgesamt als stark gefährdet, wobei es regionale Unterschiede gibt. Ihr Zustand und ihre Verbreitung werden auch durch menschliche Aktivitäten beeinflusst, insbesondere durch Fischerei, Schadstoffe und Unterwasserschall. Zudem können Sand- und Kiesabbau, Schiffsverkehr, Baumaßnahmen, Müll, Erdöl- und Erdgasexploration und -förderung, die Anreicherung von Nährstoffen sowie militärische und touristische Aktivitäten negative Auswirkungen haben.
Durch die erhöhte Schadstoffbelastung der Meere ist die Reproduktionsrate der Schweinswale deutlich beeinträchtigt, was auch ihre Lebenserwartung stark reduziert. Nach Untersuchungen des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung in Büsum stirbt ein Großteil der Schweinswale im Alter von unter zehn Jahren. Dabei können Schweinswale eigentlich mehr als 20 Jahre alt werden und sind erst mit drei bis fünf Jahren geschlechtsreif.
Eine weitere starke Gefährdung wird nach wie vor durch unbeabsichtigten Beifang in der Fischerei verursacht, speziell der Stellnetzfischerei. Dabei verfangen sich die Tiere in den für sie nicht erkennbaren Netzen und ertrinken. Genauso kann der Eintrag von Impulsschall bei der Errichtung von Windkraftanlagen oder bei Sprengungen (z.B. von alter Munition) bei Schweinswale schwere Verletzungen hervorrufen oder gar tödlich sein. Hinzu kommt: Der kontinuierliche Eintrag von Lärm durch zum Beispiel die Schifffahrt hat Auswirkungen auf das Verhalten der Schweinswale, die auf ständige Nahrungsaufnahme angewiesen sind, welche sie durch den Lärm von z.B. herannahenden Schiffen unterbrechen, um diesem auszuweichen.
“TROTZ DER EINRICHTUNG DIESER SCHUTZGEBIETE SIND DORT MENSCHLICHE AKTIVITÄTEN BISHER NUR SELTEN REGLEMENTIERT.”
GRD: Mit dem Walschutzgebiet vor Sylt und Amrum sowie dem angrenzenden Naturschutzgebiet Sylter Außenriff wurden Schutzzonen geschaffen, die den Schweinswal-Populationen einen besseren Lebensraum bieten sollen. Welche Schwachstellen weisen diese Zonen nach wie vor auf bzw. wo gibt es Ihrer Ansicht nach Verbesserungsbedarf?
Sebastian Unger: Die Ergebnisse der letzten großen Zählung im Jahr 2022 (SCANS IV) bestätigten, dass sich die bereits seit 1994 in der Nordsee beobachtete Verlagerung der Schweinswalpopulation von Nordwesten nach Süden fortsetzt. Die höchsten Schweinswaldichten finden sich in der zentralen und der südwestlichen Nordsee. Neben dem Sylter Außenriff gewinnt damit seit einigen Jahren der Borkum Riffgrund zunehmend an Bedeutung. Den Ergebnissen unseres Monitorings nach hat sich die Sichtung von Kälbern in diesem Bereich seit 2008 signifikant erhöht. Die Ursachen dieser Entwicklung sind noch unklar.
Die Schweinswalpopulation der südlichen Nordsee hat mit dem Schutzgebiet „Sylter Außenriff“ sowie dem angrenzenden Walschutzgebiet im schleswig-holsteinischen Nationalpark für den Bestand bedeutsame Fortpflanzungsgebiete. Trotz der Einrichtung dieser Schutzgebiete sind dort menschliche Aktivitäten bisher nur selten reglementiert.
Ausnahme sind einige Bereiche der Meeresschutzgebiete in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone. Dort haben wir nach intensiven Verhandlungen mit der betroffenen Fischerei aus Deutschland und den angrenzenden Nachbarstaaten erreicht, dass bestimmte Fangmethoden in diesen Gebieten ausgeschlossen werden. Auf der Amrumbank, einer Sandbank im Meeresschutzgebiet Sylter Außenriff und eines der wichtigsten Reproduktions- und Aufzuchtgebiete für Schweinswale, wird damit beispielsweise die Fischerei vollständig verboten.
“WIR MÜSSEN BEIM SCHUTZ UNSERER MEERE DEUTLICH MEHR TUN, DAMIT WIR AUCH KÜNFTIG GUT UND GESUND LEBEN KÖNNEN.”
GRD: Das Spannungsfeld zwischen der vielfältigen Meeresnutzung durch den Menschen und dem Meeresschutz ist äußerst sensibel. Wie lassen sich Ihrer Meinung nach die unterschiedlichen Nutzungsinteressen in Einklang bringen? Wie könnten Kompromisse ausgestaltet sein?
Sebastian Unger: Die Belastungsgrenzen der Meere sind eigentlich längst erreicht. Und die Auswirkungen des Klimawandels sowie steigende Nutzungsansprüche und die dringend erforderliche Energiewende bringen weitere neue Herausforderungen mit sich.
Angesichts dieser Herausforderungen wird die Bundesregierung erstmals eine übergreifende Nationale Meeresstrategie zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der Meere erarbeiten. Ein besserer Schutz unserer Meere muss höhere Priorität erhalten, denn es geht um unser aller Lebensgrundlagen. Wir müssen beim Schutz unserer Meere deutlich mehr tun, damit wir auch künftig gut und gesund leben können.
Der Schutz und die Wiederherstellung von unbelasteten, artenreichen und produktiven Meeren müssen die übergreifenden Ziele dieser Nationalen Meeresstrategie sein. Die Einträge von Schad- und Nährstoffen müssen weiter reduziert werden und die Nutzung der Meere muss naturverträglicher gestaltet werden. Dazu wollen wir konkrete Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene vereinbaren. Alle relevanten Sektoren müssen ihren Beitrag dazu leisten.
Der geplante großflächige Ausbau der Offshore-Windenergie ist für die notwendige Energiewende und den Klimaschutz von zentraler Bedeutung, er wird aber auch die Meeresumwelt dauerhaft verändern und belasten. Es gilt daher, gemeinsam mit den Windkraft-Betreibern, diese naturverträglich zu gestalten und die Auswirkungen schon im Vorfeld zu minimieren.
Wir wollen auch die Qualität der Meeresschutzgebiete in Nord- und Ostsee verbessern und damit die notwendigen Erholungszonen für unsere wertvolle Meeresnatur schaffen. Dazu soll ebenfalls das EU Ziel beitragen, zehn Prozent der Meeresflächen durch den Ausschluss schädlicher Nutzungen wirklich streng zu schützen und damit Gebiete zu schaffen, in denen die Natur sich wieder frei entwickeln darf. Negative Auswirkungen schädlicher Nutzungen müssen aber auch außerhalb von Schutzgebieten minimiert werden. Davon werden sowohl Mensch und Natur profitieren.
Wir müssen überdies den Klima- und den Meeresschutz besser verknüpfen. Denn nur intakte Meere mit ihren Habitaten – wie Seegraswiesen, Salzmarschen und Algenwälder – können einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Dabei spielt das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz eine wichtige Rolle, dass die Bundesregierung auf Initiative von Umweltministerin Steffi Lemke im letzten Jahr auf den Weg gebracht hat.
Nicht zuletzt wollen wir auch dafür sorgen, die Fischerei natur- und umweltverträglicher zu gestalten.
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Die Fragen stellte Mathias Hansen (GRD)
Foto oben: Sebastian Unger mit Bundesumweltministerin Steffi Lemke
Credit: BMUV/Sascha Hilgers
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