Buch-Tipp: “Wir Wale” von Fabian Ritter

Der Versuch, die Welt der Wale und Delfine aus ihrer Perspektive zu begreifen
Was wäre, wenn wir die Welt einmal mit den Augen eines Meeressäugers sehen könnten? Im Interview zu seinem neuen Buch „Wir Wale“ erzählt Fabian Ritter, Meeresbiologe und Mitgründer unserer Partnerorganisation M.E.E.R., von seiner Reise in die Gedanken- und Gefühlswelt der Wale und Delfine – und davon, was wir Menschen dabei über uns selbst erfahren können. Sein Buch dient als Einladung zu mehr Empathie, als Übersetzung von Delfin- und Walbotschaften in unsere Sprache und ist zudem ein eindringlicher Appell für ein neues Miteinander.
"Das Wir-Bewusstsein definiert Wale und Delfine"
Fabian, in deinem neuen Buch nimmst du einen ungewöhnlichen Perspektivwechsel vor: Du versetzt dich in die Gedanken- und Erlebniswelt von Delfinen und Walen. Welche Erkenntnisse hast du auf dieser Reise gewonnen?
F.R.: Es war schon eine große Herausforderung, die Perspektive der Delfine und Wale einzunehmen, diese konsequent durchzuhalten und daraus ein Buch zu machen. Sich vorzustellen, wie ein Delfin oder ein Wal die Welt, das Meer, seine Mitwelt, seine sozialen Strukturen – und auch den Menschen – wahrnimmt und es glaubwürdig, zugleich wissenschaftlich fundiert und zudem lebendig zu erzählen, war alles andere als einfach.
Der Titel des Buches greift eine zentrale Erkenntnis auf: Ich bin überzeugt, dass das Erleben und das Selbstbewusstsein von Delfinen und Walen vor allem durch das Wir geprägt ist. Alles, was wir aus Biologie und Ökologie über sie wissen, weist darauf hin, dass sie hochsoziale Wesen sind – mit komplexen Denkprozessen, tiefen emotionalen Bindungen und der Fähigkeit zu Mitgefühl und Kooperation – und daraus entstehenden Traditionen und Kulturen.
Das Entscheidende im Leben eines Delfins oder Wals ist immer der soziale Kontext. Für ein Delfinkind ist das vor allem die Mutter, für andere die Delfinschule, der Orca-Pod oder der Wal-Clan. Ihr zentrales Lebensprinzip ist das Wir. Das Aufeinander-Angewiesensein, die emotionale und kommunikative Verbundenheit, das Wir-Bewusstsein definiert Wale und Delfine.

"Es ist absolut faszinierend, sich vorzustellen, dass es heute noch Wale in der Arktis geben könnte, die kurz nach der Französischen Revolution geboren wurden."
Wenn du dich auf diesen Perspektivwechsel eingelassen hast – wie tief warst du dann drin?
F.R.: Die Frage ‚Wie denkt ein Delfin oder Wal, wie erfährt er seine Mitwelt?‘ lässt mich nicht mehr los, und beschäftigt mich permanent – und mein Bild über die Meeressäuger wird mit jeder neuen Studie, mit jeder neuen Beobachtung erweitert. Ich habe rund 450 wissenschaftliche Arbeiten und Bücher ausgewertet, um ein stimmiges Gesamtbild zu zeichnen, aber der Prozess ist noch längst nicht abgeschlossen.
In Deinem Buch trifft der Leser auf neun Protagonisten, genauer gesagt neun unterschiedliche Zahn- wie Bartenwale. Darunter ist auch der Grönlandwal. Was macht ihn so besonders?
F.R.: Der Grönlandwal in meinem Buch wird im Jahr 1799 geboren und lebt bis zum Ende des Buches – und das ist eine realistische Annahme. Grönlandwale sind tatsächlich die langlebigsten Säugetiere unseres Planeten. Es ist absolut faszinierend, sich vorzustellen, dass es heute noch Wale in der Arktis geben könnte, die kurz nach der Französischen Revolution geboren wurden. Und in dieser Zeit hat sich die Welt massiv verändert – vor allem durch den immer stärkeren Einfluss des Menschen. Vor 150 oder 200 Jahren lebten Grönlandwale in einer Welt, in der der Mensch kaum eine Rolle spielte – einmal abgesehen vom Walfang. Heute schweigen die Harpunen, aber alles ist anders: Schallkanonen und Schiffsverkehr machen teilweise verheerenden Lärm, das Eis schmilzt in Rekordtempo. Das ist ein gewaltiger Wandel.

Grönlandwal
"Dieses Buch ist ein Versuch, die Sprache der Delfine und Wale in menschliche Sprache zu übersetzen.."
Du schreibst in deinem Intro, dass unser größtes Problem der Mangel an Liebe ist. Inwiefern?
F.R.: Dieses Buch ist ein Versuch, die Sprache der Delfine und Wale in menschliche Sprache zu übersetzen. Dahinter steht mein Wunsch, dass wir Menschen diese faszinierenden Meeressäuger besser kennenlernen. Aus Verständnis entsteht Mitgefühl – und genau das brauchen wir, wenn wir ernsthaft über den Schutz von Walen und Delfinen sprechen wollen.
Empathie ist die Fähigkeit, sich in andere Lebewesen hineinzuversetzen – ihr Leben, ihr Erleben und auch ihr Leiden wahrzunehmen. Nur wenn wir diese emotionale Verbindung spüren, kann wirkungsvoller Meeresschutz gelingen, denn er muss auch in unseren Herzen verankert sein. Wir sind ja ebenso soziale und empathiefähige Wesen wie Wale und Delfine. Und wir haben die Möglichkeit, unser Verhalten bewusst zu reflektieren, zu verändern und neu auszurichten – damit es den Meeren wieder besser gehen kann.
Alle globalen Krisen – Klimawandel, Artensterben, Umweltzerstörung – sind nur Symptome einer noch tieferliegenden Krise: der Krise unseres Bewusstseins. Die eigentliche Wurzel liegt in unserer Unachtsamkeit, in einem Mangel an Liebe. Wenn ich mit meinem Buch auch nur einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, diese Liebe neu zu entfachen, dann habe ich alles erreicht, was ich mir wünschen kann.
"Da wird kein Blatt vor den Mund genommen. Das muss man aushalten können."
Auf was dürfen sich die Leser Deines Buches freuen und worauf müssen sie vielleicht auch ein wenig gefasst sein?
F.R.: Ich denke, die Leserinnen und Leser bekommen ein umfassendes Bild der Welt der Wale und Delfine – sowohl von außen als auch von innen. Allerdings müssen sich die Lesenden darauf einstellen, dass es auch schonungslos zur Sache geht, vor allem, wo es um das problematische Verhältnis zwischen Mensch und Wal geht. Da wird kein Blatt vor den Mund genommen. Das muss man aushalten können.
Am Ende gibt es aber eine positive Wendung – so etwas wie einen utopischen Ausblick. Jedenfalls endet das Buch mit einer hoffnungsvollen Note. Mir war wichtig, auch eine mögliche Lösung aufzuzeigen – und die kommt, wenn man so will, von den Walen und Delfinen selbst. Denn sie – so bezeugen es viele Mythen, Legenden, Überlieferungen sowie aktuelle Beobachtungen – versuchen schon sehr lange, mit uns in Kontakt zu treten. Die Frage lautet also auch: Was wäre, wenn wir diesen Kontakt wirklich ernst nähmen?
Insofern bietet das Buch durchaus auch Botschaften und Impulse: Wie kann ein besseres Miteinander, eine bessere Welt aussehen? Und das ist vielleicht das Wichtigste: Dass wir die Möglichkeit sehen, gemeinsam einen neuen Weg zu gehen.
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Titel: Wir Wale
Autor: Fabian Ritter
Seiten: 400
ISBN: 978-3-328-60296-5
Verlag: Penguin
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FAMILIENTYPEN
Indische Grindwale sind Delfine und leben in Familienverbänden. Ihre Körperlänge variiert von 3,5 bis 6,5 m.

SPAßMACHER
Zügeldelfine sind mit ihren etwa 2 Metern Länge relativ klein. Jungtiere sind ungefleckt, erst mit dem Alter nimmt die Fleckung immer mehr zu.

Die SCHÖNEN
Gewöhnliche Delfine gehören mit ihrer unverkennbaren sanduhrförmigen Musterung an den Seiten sicherlich zu den schönsten Delfinen.
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