Die Internationale Meeresbodenbehörde am Scheideweg: Tiefsee schützen, nicht plündern

Neuer Expertenbericht skizziert Zukunft der Tiefsee ohne Bergbau
Am 23. April veröffentlichte die Deep Sea Conservation Coalition (DSCC), der auch die GRD angehört, eine wichtige Publikation über jene Chancen, die ein Moratorium oder eine Pause beim Tiefseebergbau der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) und der Welt bieten könnte. Darin fordert die DSCC einen grundlegenden Kurswechsel der ISA hin zu einer Institution, die ihrer tiefgreifenden Verantwortung als Treuhänderin des gemeinsamen Erbes der Menschheit gerecht wird. Im Zentrum steht dabei das Ziel, Wissen, Gerechtigkeit und den Schutz der Tiefsee neu zu etablieren.
Zukunft der Tiefsee: Experten fordern Kurs ohne Bergbau
Angesichts des wachsenden Drucks von Bergbauunternehmen, die industrialisierte Schatzsuche am Meeresgrund um jeden Preis voranzutreiben, droht die Tiefsee zum Schauplatz einer unermesslichen Ausbeutung zu werden. In einer neuen Publikation präsentiert die Deep Sea Conservation Coalition nun eine wegweisende Alternative: eine Vision der ISA, die den Schutz der Tiefsee, wissenschaftliche Arbeiten, internationale Zusammenarbeit und langfristige globale Vorteile über kurzfristige industrielle Ausbeutung stellt.
In ihrer Veröffentlichung präsentieren renommierte Expert:innen vier Fachbeiträge, welche die Chancen und Vorteile eines Moratoriums in vier zentralen Bereichen untersucht: globale Ozean-Governance, Tiefseewissenschaft und -forschung, Kapazitätsaufbau und Technologietransfer sowie nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung.
„Ein Moratorium für den Tiefseebergbau ist ein notwendiger Schritt, um ausreichend Schutzmaßnahmen sowie Kontrollen und Ausgleichsmechanismen zu gewährleisten, bevor überhaupt über Bergbautätigkeiten nachgedacht wird. In der Zwischenzeit müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln, um die marine Biodiversität zu erhalten, kritische Wissenslücken zu schließen und mehr Gerechtigkeit im Umgang mit unseren gemeinsamen Meeren zu schaffen.“

Kurzfassung der DSCC-Publikation: Nutzen für die Menschheit – Chancen für die Internationale Meeresbodenbehörde unter einem Moratorium für Tiefseebergbau
Die Menschheit steht vor einer dreifachen planetaren Krise: Klimawandel, Verlust der biologischen Vielfalt und Umweltverschmutzung. Die Ozeane – einschließlich der weitgehend unbekannten und unzureichend erforschten Tiefsee – leiden nicht nur unter einem beispiellosen Rückgang ihrer Gesundheit und Produktivität, sie spielen auch eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung dieser existenziellen Bedrohungen.
Inmitten dieses weltweiten Notstands steht die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) an einem entscheidenden Wendepunkt. Wird sie den bisherigen Kurs beibehalten und auf eine Ausbeutung der Tiefsee zum kurzfristigen Profit hinarbeiten, was langfristig irreversible Schäden verursacht? Oder wird sie sicherstellen, dass Aktivitäten in der Tiefsee tatsächlich der gesamten Menschheit zugutekommen und gleichzeitig die Meeresumwelt für heutige und zukünftige Generationen schützen?
Die Beitragsreihe der 14 Expert:innen zeigt eine Vision, wie die Welt – und die ISA – unter einem Moratorium oder einer vorsorglichen Pause für den Tiefseebergbau aussehen könnte. Ohne eine ständige Bedrohung durch den zerstörerischen Tiefseebergbau, der wie ein Damoklesschwert über jeder Sitzung schwebt, könnte die ISA der Menschheit langfristig enorme Vorteile bringen. Wie das erste Papier in dieser Fachbeitragsreihe darlegt, ist ein Moratorium oder eine vorsorgliche Pause nicht nur vollkommen mit dem Mandat der ISA vereinbar, sondern würde ihr ermöglichen, eine unverzichtbare Hüterin der Tiefsee zu werden und zur Umsetzung des kürzlich angenommenen Abkommens über den Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt in Gebieten außerhalb nationaler Gerichtsbarkeit (BBNJ-Abkommen) unter dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) beizutragen.

- Zunächst würde ein Moratorium dem Auftrag der ISA entsprechen, gemäß internationalem Recht im Namen und zum Wohle der gesamten Menschheit zu handeln, indem sie das „gemeinsame Erbe der Menschheit“ bewahrt. Diese besondere Verantwortung wurde der ISA und ihren Mitgliedstaaten 1982 durch UNCLOS übertragen. Die Notwendigkeit, die Ozeane zu schützen, wurde jüngst durch weltweite Bemühungen zur Ozean-Governance, einschließlich des BBNJ-Abkommens, bekräftigt. Die Verabschiedung eines Moratoriums oder einer vorsorglichen Pause ist eine einmalige Chance für die ISA, einen neuen Kurs einzuschlagen und den Weg in eine neue Ära der Tiefsee-Verantwortung, -Forschung und -Governance zu weisen.
- Das zweite Papier entwirft eine Zukunft, in der es ein Moratorium der ISA ermöglicht, ihr Mandat zur Förderung der Meeresforschung zu priorisieren. Befreit von der Konzentration auf die Rohstoffausbeutung, könnte die ISA spannende multinationale Tiefseeexpeditionen anführen, um den weiten abyssalen Meeresboden zu kartieren und die Erkenntnisse mit der Welt zu teilen. In dieser Zukunft nutzt die ISA ihre multilateralen Strukturen, um internationale Zusammenarbeit für neue Tiefseewissenschaften zu fördern – mit besonderem Augenmerk auf die Beteiligung von Ländern des globalen Südens und einem gerechten Wissensaustausch. Unter dieser moratoriumsgestützten Vision leitet die ISA ein gerechtes und inklusives Programm der Tiefseeforschung, das auf Entdeckung statt Zerstörung ausgerichtet ist.
- Eng damit verbunden zeigt das dritte Papier, wie ein Moratorium die Chance bietet, den Ansatz der ISA in Bezug auf Kapazitätsaufbau und Technologietransfer grundlegend zu verändern. Durch die Loslösung dieser Programme von extraktiven Aktivitäten kann die ISA ihre Bemühungen auf den Aufbau wissenschaftlicher und technischer Kapazitäten konzentrieren, die dem Umweltschutz dienen, das Verständnis für Tiefseeökosysteme und deren Nutzen vertiefen und die Ungleichheiten in der Ozeanforschung abbauen – insbesondere jene, die eine stärkere Beteiligung des Globalen Südens behindern.
- Schließlich macht das vierte Papier deutlich, dass sich der Tiefseebergbau schlichtweg wirtschaftlich nicht rechnet. Zwar könnten erste Nachfrageimpulse kurzfristige Einnahmen generieren, jedoch würden Marktsättigung und fallende Preise die langfristige Rentabilität untergraben. Angesichts der enormen Investitionen, hohen Umweltrisiken und teuren Rechtsstreitigkeiten erscheinen die erwarteten Erträge marginal. Auch die vorgesehenen Zahlungen an ISA-Mitgliedstaaten im Rahmen des Gewinnbeteiligungsmechanismus sind höchst ungewiss und wahrscheinlich geringfügig. Im Gegensatz zu diesen fragwürdigen Profitaussichten würde der Tiefseebergbau großflächige und irreversible Schäden am Meeresboden verursachen – ein unermesslicher Schaden, der gegenwärtige und zukünftige Werte für die Menschheit zerstört. Ein Moratorium hingegen würde die Resilienz der Erdsysteme stärken. Es ist nicht nur ökologisch notwendig, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll und langfristig nachhaltig.
Fazit
Ein Moratorium für den Tiefseebergbau ist die beste Option für die Zukunft unseres Planeten – und für die ISA selbst, um zur Hüterin der Tiefsee im Interesse der gesamten Menschheit zu werden. Diese Sichtweise wird bereits von dutzenden Mitgliedstaaten, tausenden Wissenschaftler:innen, großen Unternehmen und Finanzinstitutionen, Menschenrechtsführer:innen sowie zivilgesellschaftlichen und indigenen Gruppen weltweit unterstützt. Angesichts der Krisen von Ozean, Klima und Biodiversität steht die ISA vor einer Entscheidung von epochaler Tragweite. Wie diese Sammlung von Beiträgen führender unabhängiger Expert:innen zeigt, ist die Antwort klar: Tiefseebergbau stoppen – Wissenschaft, Innovation und Menschenrechte priorisieren – und die Wunder und den Nutzen der Tiefsee für heutige und künftige Generationen bewahren.
Der komplette Report steht hier zum Download bereit:
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