Mikroskopisch kleine Algen – und wie sie zur Gefahr für Delfine werden

von | 8. Mai 2025 | News - Delfine

Warum Algenblüten für Delfine gefährlich sind – und wie die Meister der Orientierung plötzlich orientierungslos werden

Kaum vorstellbar, dass mikroskopisch kleine Einzeller verantwortlich sind für das Wohlergehen aller Meeresbewohner – aber wahr! Algen sind die unersetzbare Grundlage des Nahrungsnetzes in den Meeren, ohne sie würden auch Meeressäugetiere, wie Delfine, keine Chance haben zu überleben.

Gleichzeitig wird durch wiederkehrende Ereignisse, aus dem Pazifik bis hin zur heimischen Oder, deutlich, dass auch Algen gefährlich werden können. Im Frühjahr 2025 sind bereits zahlreiche Meerestiere, darunter Dutzende Delfine, an der Küste Kaliforniens verendet. Aufgrund einer massiven Algenblüte und den dadurch freigesetzten Giftstoffen wird die lebensnotwendige Alge zu einer Gefahr…
von Kira Heinemann

Die Algenblüte – Wie sie entsteht und welche Gefahr für Delfine von ihr ausgeht

Das reine Meerwasser – es ist oft gar nicht so „rein“ wie wir vermuten. Denn es tummeln sich dort zahlreiche mikroskopisch kleine Organismen, von denen viele zum Phytoplankton zählen. Hierbei handelt es sich oft um einzellige Algen, die verschiedenste Eigenschaften mitbringen! Sie sind als CO2-Fixierer und O2-Produzenten ein wichtiger Bestandteil unseres Klimasystems – es heißt, dass jedes zweite Sauerstoffmolekül, das wir einatmen, aus dem Meer stammt. Gleichzeitig sind sie die Grundlage des Nahrungsnetzes im Meer! Indirekt sorgen sie also für das Wohlergehen aller Meeresbewohner.

Unter einem Elektronenrastermikroskop werden die Algen sichtbar. Pseudo-nitzschia spp. hat eine längliche, in sich gedrehte Form und besitzt, wie alle Kieselalgen, eine Hülle aus Siliziumdioxid.

Verändern sich im Meeresökosystem z.B. die Nährstoffverfügbarkeit oder die Temperatur, kann das zu einer massiven Vermehrung dieser Algen führen, allgemein wird das als „Algenblüte“ bezeichnet. Allerdings vermehren sich dabei meistens nicht alle Algenarten in gleichem Maße, sondern nur eine oder zwei überdurchschnittlich oft – wodurch das Gleichgewicht im Ökosystem noch stärker gestört wird.

Je nach Algenart (z.B. Pseudo-nitzschia spp. oder Prymnesium parvum) können bei einer Algenblüte Giftstoffe freigesetzt werden. Diese wirken sich auf alle anderen Arten im Ökosystem aus. So stört z.B. das Gift Domoic Acid (DA) die Sinnesorgane von Delfinen und führt zu Verhaltensstörungen, die tödlich enden können. Dabei gilt allerdings: Die Bedingungen, unter denen die Algen wachsen, unterscheiden sich oft von denen, unter denen sie toxisch werden.

Giftstoffe: Wie sie entstehen und ihre Wirkung auf Meeressäugetiere

Zwei bekanntere Toxine „Domoic Acid“ (DA) & „Saxitoxin“ (STX) werden von Kieselalgen der Gattung Pseudo-nitzschia abgegeben. Dieses Phänomen wiederholt sich jährlich vor den Küsten Kaliforniens. Grund für die Algenblüte ist eine gestiegene Wassertemperatur, sowie ein frühzeitiges „Upwelling“ (nährstoffreiches Tiefenwasser steigt in Küstennähe auf). Bei den Giftstoffen (DA & STX) weiß man mittlerweile, dass sie in der Nähe der Wasseroberfläche durch den Einfluss der Sonneneinstrahlung zerfallen – dagegen aber in Organismen nicht abgebaut werden.

Die Nahaufnahme unter dem Mikroskop zeigt zwei Pseudo-nitzschia sp. Zellen.

Und genau hier liegt das Problem: Obwohl Delfine keine Algen fressen, können die Giftstoffe über die Anreicherung im Nahrungsnetz in ihre Körper gelangen.

Wenn Meeressäugetiere, wie Delfine, Wale und Seehunde die Giftstoffe aufnehmen, zeigen sie in erster Linie schädliche Verhaltensänderungen. Teilweise schwimmen sie im Kreis oder werden besonders aggressiv. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Toxine Wahrnehmungsstörungen verursachen und zu einem Orientierungsverlust führen. In Kalifornien mussten Helfende aufgrund der Vielzahl betroffener Meerestiere entscheiden, welche die größten Überlebenschancen haben. Grundsätzlich gilt: Bei gestrandeten Individuen werden die Konzentrationen der Giftstoffe ermittelt. Diese Konzentrationen geben jedoch keinen Aufschluss, ob es sich um eine tödliche Dosis handelt – oder ob die Individuen aufgrund der Verhaltensstörungen stranden und so verenden.

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Die Algenblüte im Frühjahr 2025 vor Kaliforniensküsten zeigt erschreckende Bilder. Nach aktuellem Stand sind mehr als 330 Seelöwen und 100 Delfine aufgrund ihrer Vergiftungen gestrandet.

Einen direkten Einfluss auf das Geschehen hatte der Mensch in Kalifornien nicht – uns bleibt nur eins: nachhaltig und vorausschauend mit unserer Umwelt umgehen. Denn der Klimawandel kann Meeresströmungen und die Temperatur der Meere langfristig beeinflussen.

Vom Menschen verursacht: Die Algenblüte und das Fischsterben in der Oder 2022

Die Zellgifte „Prymnesine“ werden bei einer massiven Algenblüte der Alge Prymnesium parvum freigesetzt und führen zum Tod im Wasser lebender Organismen. Bei betroffenen Tieren werden die Kiemen zerstört und die Gifte gelangen anschließend in den Blutkreislauf. Fische sterben schließlich durch Sauerstoffmangel und Kreislaufversagen. 2022 kam es in der Oder aufgrund dieser Alge zu einem massiven Fischsterben.

Das Fischsterben in der Oder 2022 hinterlässt noch immer dramatische Eindrücke. Die unzähligen toten Fische bedeckten die Wasseroberfläche stellenweise vollständig.

Grund für dieses Ereignis war das Zusammenspiel von sechs entscheidenden Faktoren: Wasserverweilzeit, Salzgehalt, Lichtversorgung, Wassertemperatur, Algen-Viren und Gehalt von Nährstoffen. Durch die Einleitung von ungeklärten Abwässern 2022 stieg der Salzgehalt spontan an und führte zum massenhaften Vermehren der Alge.

Der direkte Einfluss des Menschen ist hier offensichtlich: Abwässer gehören nicht in Flüsse! Außerdem braucht es umfangreiche Renaturierungen – denn in freifließenden Flüssen können sich aufgrund der kurzen Wasserverweilzeit keine Algenblüten entwickeln.

Auswirkungen auf das Ökosystem

Die gravierenden und komplexen Folgen einer schädlichen Algenblüte werden meist erst im Nachhinein deutlich: Nicht nur werden die Individuenzahlen seltener Meeressäugetiere wie Delfinen oder Walen verringert – sondern auch entscheidende filtrierende Organismen aus dem Ökosystem entfernt. Insbesondere Muscheln filtern Schadstoffe, doch eine besonders hohe Giftstoffkonzentration kann auch bei den hartgesottensten Filtrierern zu einem Populationseinbruch führen. Dadurch fehlt dem Ökosystem eine „Reinigungsstufe“ und das verunreinigte Wasser schadet wiederum Fischen, Krebstieren und Meeressäugern.

Doch nicht nur der Wegfall von filtrierenden Organismen kann negative Auswirkungen haben. Durch die massive Vermehrung der Algen kann es zudem zu einer Trübung des Wassers kommen, sodass weniger Sonnenlicht in die tieferen Wasserschichten dringt. Die Photosyntheserate und damit die Sauerstoffproduktion verringert sich, wodurch sauerstoffarme Zonen entstehen können.

Die Regenerationsfähigkeit der Ökosysteme nach massiven Algenblüten hängt entscheidend davon ab, ob es sich vorher um intakte Systeme oder bereits gestresste Systeme gehandelt hat. Nur wenn in umliegenden Bereichen ausreichend Ressourcen in Form einer hohen Artenvielfalt vorhanden sind, können sich die geschädigten Regionen erholen.

Blick auf unsere Gewässer: Die Lage in der ...

… Nordsee

Algenblüten in der Nordsee treten zumeist im Frühjahr auf. Durch den Eintrag von Nährstoffen mit der Schneeschmelze und steigenden Temperaturen kommt es zum vermehrten Wachstum der Algen. Bisher sind diese Algenblüten weitestgehend ungefährlich gewesen, denn sie gaben keine nennenswerten Giftstoffe ab.

Nichtsdestotrotz sind auch diese Algenblüten nicht vollständig harmlos – denn sie treten immer früher im Jahr auf und können zu sauerstoffarmen Zonen führen. Insbesondere der Eintrag von Düngemitteln aus der intensiven Landwirtschaft begünstigt die Entstehung von Algenblüten. 2018 wurden die Auswirkungen für Strandgänger:innen bereits im Herbst sichtbar! Riesige Schaumberge türmten sich am Strand, die Reste einer Algenblüte.

Schaumberge am Strand können ein Überbleibsel einer Algenblüte sein.

… Ostsee

Algenblüten in der Ostsee stellen das Ökosystem tatsächlich vor große Herausforderungen. Denn die Ostsee hat eine Besonderheit: In einer Tiefe von ca. 60m liegt eine Grenze zwischen brackigem, sauerstoffreichem Wasser und salzhaltigerem, sauerstoffarmem Tiefenwasser. Sinken nach einer Algenblüte die abgestorbenen, organischen Bestandteile auf den Grund der Ostsee, werden sie dort unter Sauerstoffverbrauch von Mikroorganismen abgebaut. Dies kann dazu führen, dass in einigen Bereichen kein Sauerstoff mehr im Wasser gelöst ist und anaerobe Mikroorganismen profitieren. Diese produzieren jedoch giftige Stoffe, sodass sich die sogenannten „Todeszonen“ entwickeln. Über die letzten 100 Jahre haben sich diese Zonen um das 10-fache ausgedehnt – Grund dafür ist der Nährstoffeintrag durch den Menschen.

Das IOW veröffentlicht jährlich Berichte zu den aktuellen Sauerstoffkonzentrationen in der Ostsee. Oben abgebildet, die neuesten Darstellungen aus dem März und November 2021.

Fazit: Nachhaltiges & systemisches Handeln ist gefordert!

Als Menschen sollten wir niemals verkennen, dass jeder Eingriff in unsere Umwelt Folgen haben wird. Ob und in welcher Form wir diese Folgen tatsächlich wahrnehmen, hängt stark vom jeweiligen Ökosystem und seiner Resilienz ab. Die Meere sind bis jetzt enorm widerstandsfähig und resilient gewesen – doch es wird immer deutlicher, dass Klimawandel, Verschmutzung und Überfischung ihren Tribut zollen.

Zwar sind Algenblüten kein ausschließlich mensch-gemachtes Phänomen, aber den bereits gestressten und unter Druck stehenden Ökosystemen fehlt es mittlerweile an Ausgleichsmöglichkeiten. Wenn eine Algenblüte in einem Habitat einer bedrohten Delfinart auftritt und diese Delfine keine anderen Rückzugsorte haben – dann können wir nur hoffen.

Deshalb liegt es in unserer Hand großflächig und ganzheitlich für den Schutz unserer Meere einzustehen und gefährdeten Arten so die Möglichkeit zu bieten, sich zu erholen! Als GRD fordern wir deshalb speziell für unsere Meere: Meeresschutzgebiete, eine starke Reduktion des Fischfangs und die Entfernung des Mülls in den Meeren.

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