Meeresraumplanung in der Nordsee: Gibt es noch Platz für die Schweinswale?

GRD-Interviews mit externen Meeresschutzexperten zur Situation des Schweinswals in der Nordsee
Die Schweinswale in der Nordsee sind gefährdet – was nicht verwundert, denn der Nutzungsdruck auf unser heimisches Meer ist enorm. Ob als Nahrungsquelle, zur Energiegewinnung, zum Rohstoffabbau, als Verkehrsnetz, für Freizeit und Tourismus – die Liste ist lang und ließe sich leicht fortsetzen. Die entscheidende Frage ist: Können die vielfältigen und zum Teil miteinander konkurrierenden Interessen in Einklang gebracht werden, ohne dass der Naturschutz und damit auch die Schweinswale auf der Strecke bleiben? Da diese Frage elementar für die Zukunft des Schweinswals ist, haben wir Sebastian Unger, Meeresbeauftragter der Bundesregierung, und Lothar Koch, Biologe und Naturschützer, um ihre Einschätzung in Form eines Interviews gebeten.

Lothar Koch,
Biologe und Naturschützer auf Sylt

Sebastian Unger,
Meeresbeauftragter der Bundesregierung
Zusammenfassung der Kernaussagen der Interviews
Zunächst wollten wir von Lothar Koch und Sebastian Unter wissen, welche Bedrohungen sie für die Schweinswale am Bedeutsamsten einschätzen. Beide Experten sind sich in diesem Punkt einig: Durch die vielfältigen anthropogenen Belastungen sind die Meeressäuger in der Nordsee gefährdet. Genannt werden die immense Schadstoffbelastung, zu viel Unterwasserlärm beispielsweise durch den Bau von Offshore-Windparks und die Fischerei. Dabei stelle vor allem die Stellnetzfischerei eine große Gefahr dar, da viele Tiere als Beifang sterben. Sowohl Sebastian Unger als auch Lothar Koch verweisen darauf, dass die Schweinswale in der Regel nur die Hälfte ihrer normalen Lebenserwartung erreichen, was auf die vielfältigen Belastungen zurückgeführt werden könne.

Die GRD hat sich im Rahmen ihrer Fachbeitragsreihe schon intensiv mit dem Walschutzgebiet vor Sylt und Amrum sowie dem angrenzenden Naturschutzgebiet Sylter Außenriff auseinandergesetzt. Diese Schutzzonen sollen den Schweinswalen einen „geschützten“ Lebensraum bieten. Wir fragten die beiden Experten daher nach den Schwachstellen dieser Zonen sowie nach Verbesserungspotential. Sebastian Unger sieht in den beiden Schutzgebieten Sylter Außenriff sowie dem angrenzenden Walschutzgebiet „bedeutsame Fortpflanzungsgebiete“ für die Schweinwale. Die Relevanz der Schutzgebiete werde durch die schon seit Jahren zu beobachtende Verlagerung der Schweinswalpopulation von Nordwesten nach Süden noch verstärkt.
Kritisch sieht der Meeresschutzbeauftragte der Bundesregierung, dass dort menschliche Aktivitäten kaum eingeschränkt seien. Lothar Koch kritisiert, dass „die internationale Fischerei dort nach wie vor ungehindert mit schweinswalschädlichem Fanggerät agieren […]“ dürfe. Auch in der unzureichenden Begrenzung der Geschwindigkeit von Versorgungsschiffen der Windkraft-Industrie sieht Koch eine Schwachstelle. Weiter befürchtet der Biologe, dass sich die Schutzgebiete durch das Zuspitzen der Klimakrise bald anderen „Prioritäten“ unterordnen müssen. Für das Walschutzgebiet beklagt Koch zudem das Fehlen eines umfassenden Managementplans sowie einen unzureichenden Schutz der unmittelbaren Küsten und Strandbereiche, welche bislang nicht zum Schutzgebiet gehören.

Das Spannungsfeld zwischen der vielfältigen Meeresnutzung durch den Menschen und dem Meeresschutz ist äußerst sensibel. Lösungen sind gefragt – von allen Beteiligten. Daher fragte die GRD zum Abschluss: Wie lassen sich die unterschiedlichen Nutzungsinteressen in Einklang bringen? Wie könnten Kompromisse ausgestaltet sein? Beide Experten sind der Meinung, dass die Ökosysteme in Nord- und Ostsee massiv belastet seien. Lothar Koch verweist in diesem Kontext auf die vielen Forschungsdaten, die im Lichte der Klimakrise und des Artensterbens zur Verfügung stehen. Geht es nach ihm, sollten nicht „kleinteilige Maßnahmen“ ergriffen werden, sondern der ökosystemare Ansatz verfolgt werden. Gemeint ist damit die Herstellung eines Gleichgewichtes der Zielsetzungen Schutz, nachhaltige Nutzung und gerechte Aufteilung der Gewinne. Die Biodiversitätsstrategie der EU müsse Anwendung finden, indem 30 Prozent der Meeresfläche unter Schutz gestellt und zehn Prozent als Null-Nutzungszonen ausgewiesen werden.
Konkrete Notfallmaßnahmen fordert der Naturschützer für akut gefährdete Populationen wie den Schweinswal in der Ostsee. Sebastian Unger verweist auf die Nationale Meeresstrategie der Bundesregierung und betont den Willen der Bundesregierung zu konkreten Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene. „Der Schutz und die Wiederherstellung von unbelasteten, artenreichen und produktiven Meeren […]“ seien die übergreifenden Ziele dieser Meeresstrategie. Wichtig sei es, die Qualität der Meeresschutzgebiete zu verbessern, indem Nullnutzungszonen eingerichtet und negative Einflüsse minimiert werden. Exemplarisch spricht Sebastian Unger den Ausbau der Windenergie sowie die Fischerei an, welche „naturverträglicher“ gestaltet werden müssen.
Die Interviews mit den beiden Meeresschutzexperten könnt ihr hier in voller Länge nachlesen:
>>> zum Interview von Lothar Koch
>>> zum Interview von Sebastian Unger

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