Orcas: Rücksichtslose Killer oder einfach nur schlau?

Stigmatisierungen basieren auf menschlichen Vorurteilen
Orcas haftet der Beiname „Killerwale“ an. Sie fressen andere Delfine, Wale, Fische, Pinguine und Robben. Sogar Eisbären machen sie das Jagdrevier streitig. Sie töten weiße Haie, nur um an die Leber der größten Raubfische der Erde zu gelangen. Dazu häuften sich in den vergangenen Jahren die Berichte von Schwertwalen, die Boote „angreifen“ und zum Teil auch versenken. Sind Orcas deshalb brutale und rücksichtslose Killer? Mitnichten, wie die Fakten unter Beweis stellen.
Orcas sind soziale und hochintelligente Jäger
Schwertwale gehören zur Gruppe der Delfine und haben – nach Pottwalen und Elefanten – eines der größten Gehirne im Tierreich. Sie gelten als sehr intelligent und etablierten im Laufe der Jahrhunderte ein ausgeprägtes Sozialverhalten. Orcas leben meistens in matrilinear strukturierten Gruppen (Pods), welche von alten und erfahrenen Weibchen angeführt werden. In der Regel bleiben die Tiere ein Leben lang in jenem Pod, in dem sie geboren wurden. Ihren Ruf als nahezu Allesfresser verdanken sie der Tatsache, dass sie in fast allen Weltmeeren leben und sich gut an die jeweiligen Bedingungen in zum Teil völlig verschiedenen Lebensräumen anpassen können, indem sie eine entsprechende Jagdstrategie entwickeln.
Orca-Angriff auf einen Bartenwal.
Beispiele: Vor Argentinien lassen sich die tonnenschweren Wale bis in die Brandung gleiten, um unvorsichtige Jungrobben direkt am Strand zu erbeuten. Im Eismeer erzeugen mehrere Tiere eine Welle, um Robben oder Pinguine von einer Eisscholle zu spülen. Selbst große Haie fallen den intelligenten Jägern zum Opfer, zum Beispiel vor der südafrikanischen Küste: Eine Jagdtechnik besteht darin, den Hai zunächst mit einem per Flukenschlag erzeugten Wasserwirbel an die Wasseroberfläche zu treiben. Im Anschluss wird der kurzzeitig desorientierte Raubfisch mit einem wuchtigen Schlag betäubt und stellt so ein leichtes Opfer dar. Eine weitere, sehr brutal anmutende Jagdtechnik führt dazu, dass Orcas im Gruppenverband große Bartenwale wie Buckel- oder Grauwale angreifen und erlegen. Nachdem ein Tier separiert wurde, drücken die Schwertwale ihr Opfer so lange unter Wasser, bis es ertrinkt. Diese und andere Jagdtechniken werden dem Nachwuchs gezielt antrainiert.
Die verschiedenen Jagdtechniken sowie die Vielfalt der Beutetiere mögen brutal erscheinen, sind allerdings nur die Folge der weltweiten Verbreitung sowie der intelligenten Anpassung an unterschiedliche Lebensräume und Bedingungen.
Im Video: Eine Orca-Gruppe nutzt unglaubliche Taktiken, um Robben zu jagen, die von Eisschollen geschützt werden.
Orcas greifen nicht gezielt Menschen an
Das Stigma des Bösewichts wurde in den letzten Jahren auch immer wieder aufgegriffen, wenn von Kollisionen zwischen Orcas und Booten berichtet wurde. In diesem Kontext sprach man häufig von „Angriffen“ der Wale. Über die Kollisionen zwischen Orcas und Schiffen vor den Küsten Spaniens, Portugals und Marokkos hat die GRD eingehend berichtet. Erste Forschungsergebnisse kamen damals zu dem Schluss, dass es sich dabei von Seiten der Orcas nicht um aggressives Verhalten, sondern um spielerischen Zeitvertreib handeln könnte.
Eine artgerechte Haltung von Orcas in Gefangenschaft ist unmöglich
Orca-Show im Delfinarium
Auch Schlagzeilen wie „Menschentötender Tilikum – Wie ein Orca zum Killerwal wird“ haben den Mythos vom Mörderwal weiter befeuert. Die Meldung bezog sich auf den tragischen Tod einer Orca-Trainerin im Jahre 2010 im Sea World Orlando. Orca Tilikum zog seine Trainerin ins Becken und ertränkte sie. Die restliche Zeit seines Lebens verbrachte Tilikum weitgehend isoliert in einem separaten Becken. Ein tragisches Beispiel dafür, dass Orcas nicht artgerecht in Gefangenschaft gehalten werden können.
Fakt ist, dass es bis dato keinen dokumentierten Fall gegeben hat, bei dem Orcas in freier Wildbahn Menschen angriffen. Unfälle in Delfinarien sind bedauernswert, aber verständlich. Bedenkt man, dass die Tiere jahrelang in nicht artgerechter Gefangenschaft getrennt von ihren Familien leben müssen, sind aggressive Reaktionen alles andere als verwunderlich.
Orcas – keine Killer, sondern intelligente und anpassungsfähige Raubtiere
Die Ausführungen zeigen, dass es sich bei Schwertwalen um hochintelligente Raubtiere handelt, die in komplexen Sozialverbänden leben. Es sind die Menschen, welche in den Lebensraum der Orcas eindringen und nicht umgekehrt. Wir sollten diesen faszinierenden Kreaturen mehr Respekt entgegenbringen, indem wir Belastungen wie Unterwasserlärm, Fischerei und die Verschmutzung der Meere reduzieren. Darüber hinaus sollten wir uns nicht anmaßen, einzelne Tiere aus komplexen Familienverbänden zu reißen, um sie anschließend in kleine Becken zu sperren.
Zudem ist es ganz generell falsch, Orcas als Killerwale, Wölfe als blutige Mörder oder Haie als Bestien zu stigmatisieren. Es sind allesamt hochentwickelte Jäger, die perfekt an ihre natürlichen Lebensräume angepasst sind und lediglich ihrem Überlebensinstinkt folgen. Solche Abwertungen basieren auf menschlichen Vorurteilen und verzerren das Verständnis für die wichtige Rolle, die diese Tiere in ihren Ökosystemen spielen. Wenn Arten derart diskriminiert werden, führt dies zu Missverständnissen, Ängsten und einer ungerechtfertigten Verfolgung der Tiere, was wiederum ihren Schutz und ihren Erhalt gefährdet.
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