Großer Tümmler mit Prothese: Das berühmte Delfinweibchen „Winter“ ist tot
Schicksal und Kämpfermentalität von Delfin „Winter“ beeindruckten Millionen von Menschen
Die Schwanzflosse an einer Krabbenfalle verloren, Kämpferherz bewiesen, als erster Meeressäuger der Welt erfolgreich mit einer Prothese ausgestattet, Quell der Inspiration und Motivation für hunderte amputierte Menschen und schließlich Kinostar – das Leben des Delfinweibchens „Winter“ war besonders. In der vergangenen Woche endete es infolge einer Magen-Darm-Erkrankung.
Die Geschichte von „Winter“
An einem kalten Dezembermorgen im Jahr 2005 entdeckte der Fischer Jim Savage in der Nähe seines bevorzugten Angelplatzes vor der Küste von Cape Canaveral ein Delfinbaby, das sich in einer Krabbenfalle bzw. in dem daran befestigten Bojenseil verfangen hatte. Der rund drei Monate alte Meeressäuger kämpfte unablässig, um sich zu befreien – verhedderte sich dabei aber immer weiter. Jim Savage zog sein Messer und zerschnitt das Seil an mehreren Stellen. Kein leichtes Unterfangen, da ein Stück Seil im Maul des Delfins steckte. Ein anderes Stück Seil hatte die Blutzufuhr zur Fluke unterbrochen. Noch dazu war die Haut bis auf’s Blut aufgescheuert.
Savage befreite den Großen Tümmler, soweit er konnte, und rief dann das Hubbs-SeaWorld Research Institute an, das auf Notfälle von Delfinen und Walen spezialisiert ist. Zusammen mit der Forschungsassistentin Teresa Mazza gelang es dem Angler, das Delfinbaby behutsam an die Küste zu bringen. Dort angekommen dauerte es Stunden, bis ein weiteres Rettungsteam eintraf und der Tümmler ins Clearwater Marine Aquarium transportiert werden konnte.
Mehr tot als lebendig wurde das junge Delfinweibchen, das man fortan „Winter“ nannte, von den Pflegern in Empfang genommen. Sie zeigte Kämpfermentalität und überlebte diese kritische Phase – die Schwanzflosse konnte infolge der fehlenden Blutzufuhr allerdings nicht gerettet werden. „Winter“ hatte somit nur noch einen Stumpf als Fluke – und die Tierärzte wenig Hoffnung, dass sie überleben würden. Immerhin: In den Becken des Clearwater Marine Aquarium bekam das Delfinbaby diverse Matten, auf denen sie sich im Wasser ausruhen und Kraft sammeln konnte.
Erst Brustschwimmerin, dann erster Meeressäuger mit Prothese
Ihrem Handicap zum Trotz arbeitete „Winter“ an ihrer Schwimmtechnik. Die typischen Auf- und Ab-Bewegungen ihrer Spezies waren zwar ohne die Schwanzflosse nicht möglich, dafür aber ruderte der kleine Delfin mit den Brustflossen, die normalerweise nur zum Steuern und Lenken verwendet werden. Dadurch konnte sich „Winter“ fortbewegen – allerdings nur sehr langsam. Auch verursachten die ungewöhnlichen Bewegungen ihr auf Dauer Schmerzen.
Erst als sich Kevin Caroll der Fluke von „Winter“ annimmt, keimt dahingehend Hoffnung auf, dass der inzwischen 18 Monate alte Tümmler ein halbwegs normales Leben führen kann. Caroll ist Spezialist für besonders schwierige Amputationen bei Menschen – ein Delfin ist für ihn absolutes Neuland. Im Rückblick erklärt der Prothesenspezialist, dass es schwieriger als erwartet gewesen sei, „einen der leistungsfähigsten Schwimmmechanismen nachzubilden, den die Natur hervorgebracht hat.“
Dennoch gelang es Caroll mit seinem Team einen Überzieher aus Silikon und Kunststoff zu entwickeln, der die empfindliche Delfinhaut schont. Mittels ausgiebigen Trainings wurde „Winter“ sukzessive an ihre künstliche Fluke herangeführt. Im Laufe der Zeit konnte das Delfinweibchen schließlich wieder geschmeidig und gleichmäßig durch das Wasser gleiten. (Lesetipp: Rettet den kleinen Delfin “Latif”)
Vorbild für zahlreiche Menschen mit Handicap
Der kleine Delfin wurde zur beliebtesten Attraktion im Clearwater Marine Aquarium. Zudem inspirierte „Winter“ hunderte von Menschen mit Behinderungen, darunter Andrew Hall (20) der ein Bein verlor, als er von einem betrunkenen Fahrer angefahren wurde. Oder den pensionierten United States Marine Corps Rudy Salas (61), der sein Bein durch eine Landmine verlor. Oder den Synchronschwimmer Mija Kazazic (32), der im jugoslawischen Bürgerkrieg im Alter von 15 Jahren ein Bein bei einem Mörserangriff verlor.
Auch Hollywood wurde auf „Winter“ aufmerksam und verfilmte 2011 erfolgreich die Story von „Winter“, die sich in „Mein Freund, der Delfin“ selbst spielte. Morgan Freeman übernahm die Rolle des Prothesenspezialisten Kevin Caroll.
Gestorben im November 2021: Winter wurde 16 Jahre alt
Kein Happy End fand die Magen-Darm-Erkrankung, die sich „Winter“ vor kurzer Zeit zugezogen hatte. Trotz des Einsatzes der Tierärzte verstarb „Winter“ am 11. November im Alter von 16 Jahren. „Wir sind zwar tief betrübt über Winters Tod, zugleich getröstet im Wissen, dass unser Team alles Mögliche getan hat, um ihr die beste Überlebenschance zu geben“, heißt es seitens des Clearwater Marine Aquarium.
Fotos / Videos: Clearwater Marine Aquarium
Weitere Artikel
Neues Bündnis für den Schutz der Nordsee: Das Netzwerk Nordseeschutz (NeNo) nimmt Arbeit auf
Unsere Nordsee ist einzigartig! Doch Fischerei, Schiffsverkehr, Plastikmüll und Lärm von Offshore-Anlagen setzen ihr zu. Sie braucht dringend besseren Schutz – insbesondere für unsere heimischen Schweinswale, deren Bestände seit zwei Jahrzehnten zurückgehen. Am Beispiel dieser kleinen Wale wird deutlich, wie sehr die Artenvielfalt unter Druck gerät und wie notwendig effektive Schutzmaßnahmen sind.
weiterlesenSolarpanel, Stühle, WCs: Was macht dieser Müll in der Ostsee?
Tatort Flensburg, Yachthafen Sonwik: Beim jüngsten Flensburger Hafen-Clean-Up bargen rund 40 Freiwillige am vergangenen Sonntag erneut erschütternde Funde vom Meeresboden: E-Scooter, Sitzmöbel, ein Solarpanel, ein Außenborder und sogar WC-Elemente. Diese Aktion zeigt eindrücklich, wie wichtig Unterwasser-Clean-Ups sind und weshalb die GRD solche Einsätze unterstützt und fördert. Denn: Ohne engagierte Taucher:innen und Meeresschützer:innen würde dieser Müll unbemerkt weiter das Ökosystem der Förde gefährden.
weiterlesenEndlich: DERTOUR beendet Zusammenarbeit mit Loro Parque & Co.
Die DERTOUR Group, einer der führenden Reisekonzerne Europas, hat angekündigt, alle Angebote zu streichen, die Meeressäuger in ihrer natürlichen Lebensweise beeinträchtigen. Explizit nennt DERTOUR das Schwimmen mit Delfinen und das sogenannte „Beaching“, das im Loro Parque auf Teneriffa zum Alltag gehört.
weiterlesen


