Die „Shelling“-Technik – Verstecken nützt nichts
Wie sich eine neue Jagdtechnik unter Delfinen „herumspricht“
Neueste Errungenschaft unter Delfinen in der Shark Bay in Westaustralien ist die „Shelling-Technik“. Dabei versuchen die Meeressäuger an Beute zu gelangen, die sich in leeren Gehäusen großer Meeresschnecken versteckt. Das klappt und das hat sich „herumgesprochen“. Denn mit einer neuen Studie der Universität Zürich, die unter der Leitung der Biologin Dr. Sonja Wild durchgeführt wurde, konnte nachgewiesen werden, dass die Delfine diese Jagdtechnik durch bloßes Abschauen gelernt haben. Bislang dachte man, dass ein derartiger Wissenstransfer beim Erlenen spezieller Jagdtechniken von Müttern ausgeht, die ihren Nachwuchs entsprechend trainieren. Damit gibt es nun einen weiteren Beweis dafür, dass kulturelles Verhalten von Delfinen dem von Menschenaffen ähnlicher ist, als bisher gedacht. Die Forschungsergebnisse wurden Ende Juni 2020 in der Fachzeitschrift “Current Biology“ veröffentlicht..
Jagdstrategien der Delfine in Shark Bay
Die Indopazifischen Großen Tümmler der Shark Bay sind bei Forschern weltweit bekannt. Sie werden seit über 35 Jahren intensiv erforscht. Die aktuelle Studie wurde zwischen 2007 und 2018 durchgeführt. Das internationale Forschungsteam dokumentierte in dieser Zeit, wie sich eine ganz neue Jagdstrategie innerhalb der Delfinpopulation ausbreitete.
Das faszinierende dabei ist, dass im Gegensatz zu den ebenfalls auch in der Shark Bay lebenden „Spongern”, die mit ihrer Schnauze einen Meerschwamm vom Meeresgrund aufheben, um damit im sandigen Boden nach Fischen oder anderer Nahrung zu wühlen, „Shelling“ von Delfinen beherrscht wird, die untereinander nicht eng verwandt sind. Dies zeigte die Analyse genetischer und verhaltensbiologischer Daten.
Sponger-Delfin der Shark Bay © Sina Kreicker
Jagdstrategie „Shelling“
Verstecken hilft nichts. Mit der „Shelling“-Technik erzielen die Delfine maximalen Erfolg. „Sie benutzen ihren Schnabel, um die Schneckengehäuse an die Oberfläche zu bringen, und schütten dann das nun in der Falle sitzende Essen in ihren Mund – wie die letzten Chips ganz unten in der Packung“, beschreibt Sonja Wild die clevere Jagdtechnik.
Insgesamt wurde das „Shelling“-Verhalten 42 Mal bei 19 verschiedenen Delfinen dokumentiert. Dient diese Beutefangmethode, ähnlich wie bei den „Spongern“, der Eroberung einer neuen Nische? Denn es kommt doch bisher eher selten vor, obwohl sicherlich nicht alle „Shelling“-Events von den Forscher*innen festgehalten werden konnten.
Shelling-Verhalten eines Delfins Video: Dr. Sonja Wild – Dolphin Innovation Project
Shelling: Neue Wege beim sozialen Lernen
In der Regel werden Techniken zur Nahrungssuche unter Shark Bay Delfinen von Müttern an ihren Nachwuchs weitergegeben – ein Verhalten, das als „vertikales soziales Lernen“ bekannt ist. Diese Weitergabe von einer Generation an die nächste galt bisher als der einzige Weg, auf dem Delfine Techniken zur Nahrungssuche erlernen.
Die Ergebnisse der aktuellen Shelling-Studie zeigen jedoch, dass Jagdstrategien auch außerhalb der Beziehung zwischen Mutter und Kalb erlernt werden können. Man darf davon ausgehen, dass dies allein durch beobachten und abschauen funktioniert – was man als „horizontales soziales Lernen“ bezeichnet, also Lernen innerhalb einer Generation.
Ein berühmtes Beispiel für die Fähigkeit zum „horizontalen sozialen Lernen“ ist das Tümmlerweibchen „Billie“. Sie verbrachte eine dreiwöchige Rehabilitation in einem Delfinarium im südaustralischen Adelaide. Dort schaute sie sich von ihren trainierten Artgenossen das „Tail Walking“ ab, ein Verhalten, das wilde Delfine nicht zeigen. Nach ihrer Freilassung wurde „Tail Walking“ unter den wilden Delfinen in der Port-River-Mündung, mit denen „Billie“ bis zu ihrem Tod 2007 lebte, zum neunen „Modetrend“.
Delfinkalb und Mutter Foto © : Dr. Sonja Wild / Dolphin Innovation Project
Kulturelle Ähnlichkeiten zu Menschenaffen
Die Studie von Sonja Wild liefert nun den ersten quantitativen Beweis für die horizontale Weitergabe einer Jagdtaktik bei Zahnwalen und ergänzen somit bereits bestehende Hinweise auf kulturelle Ähnlichkeiten zwischen Delfinen und Menschenaffen. Diese und natürlich auch Menschen besitzen ebenfalls ein breites Spektrum an sozial erlernten Techniken zur Nahrungssuche.
Originalpublikation: Sonja Wild, William J.E. Hoppitt, Simon J. Allen, Michael Krützen. Integration genetic, environmental and social networks to reveal transmission path-ways of a dolphin foraging innovation. Current Biology. 25 June 2020. DOI: 10.1016/j.cub.2020.05.069
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