40 tote Kegelrobben vor Rügen: Fischereigerät offenbar Ursache
Was bisher zum Robbensterben vor Rügen bekannt ist
Seit Anfang Oktober wurden über 40 verendete Kegelrobben an den Küsten Rügens und am Greifswalder Bodden gefunden – und die Zahl könnte noch höher liegen. Die Ursache wurde nach langer Suche ermittelt: Tod durch Ersticken bzw. Ertrinken, vermutlich in Fischereigerät. Doch die Frage bleibt, wie genau es zum Massensterben gekommen ist – und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Robbenpopulation nachhaltig zu schützen.
Das ist in den vergangenen vier Wochen passiert:
Die ersten verendeten Kegelrobben wurden Anfang Oktober an den östlichen und südlichen Küsten von Rügen sowie am Greifswalder Bodden entdeckt. In den darauffolgenden Tagen mehrten sich die Funde und die Gesamtzahl der Kadaver stieg kontinuierlich an. Mitte Oktober lag sie bei etwa 20, eine Woche später bereits bei 30 verendeten Tieren.
Inzwischen wurde die Marke von 40 gestorbenen Kegelrobben erreicht. Die Dunkelziffer kann noch weitaus höher liegen, da nicht jede Robbe angespült wird. Einige gehen unter oder werden gefressen, andere – wie das von uns bei einer Geisternetzbergung im April 2023 gefundene Tier (siehe Foto unten) – sind in Fischereigerät verfangen und werden nur durch Zufall von Tauchern entdeckt.
Seit Anfang Oktober wurden in der Ostsee zwischen Rügen und Greifswald mindestens 25 tote Kegelrobben entdeckt. Bei drei Robben deutet Wasser in der Lunge auf Ertrinken hin - möglicherweise, weil sie sich in Netzen verfingen.#NDRMV #Ostsee #Robbenhttps://t.co/GMfRguOrzz
— NDR.de (@ndr) October 18, 2024
Fest steht: Innerhalb kurzer Zeit ist damit etwa ein Fünftel der geschätzten 200 Kegelrobben, die in der Region leben, verendet – ein kritischer Schwellenwert ist überschritten.
Diese Vermutungen zur Todesursache wurden ausgeschlossen:
Die Sektionen ergaben bislang keine Hinweise auf eine natürliche Todesursache. Die Vogelgrippe – aus Dänemark bekannt – konnte ausgeschlossen werden. Auch für menschliches Einwirken, z.B. in Folge von Bauarbeiten oder Fischerei-Aktivitäten im betreffenden Küstenabschnitt, lagen den Behörden keine belastbaren Nachweise vor. Kontrollen einer Reuse vor Thiessow durch die Fischereiaufsicht, unter Einsatz von Unterwasserkameras, blieben nach Aussage der Landesregierung ergebnislos.
Das geht aus den Untersuchungen hervor:
Die Kegelrobben starben durch Ersticken – dies ergaben Untersuchungen des Deutschen Meeresmuseums in Stralsund und der Tierärztlichen Hochschule (TiHo) Hannover. Man habe in der Sektion Hinweise auf Erstickungstod und Beifang gefunden, erklärte Dr. Judith Denklinger aus Stralsund. Darunter hervorquellende Augen und Abriebe an Kopf und Flossen. Die TiHo Hannover soll typische Ertrinkungssymptome ebenfalls bestätigt haben.
Laut Denklinger sei das wahrscheinlichste Szenario, dass sich die Tiere in Fischfanggerät verheddert haben, zumal einige Tiere mit gefüllten Mägen gefunden wurden. Dies sei typisch: Die Robben schlagen sich im Netz den Bauch voll, können nicht mehr auftauchen und ertrinken.
Verdachtsmomente durch intensive Kontrollen überprüfen:
Dass Kegelrobben sich bei ihren Beutezügen in Geisternetzen verfangen und dort einen qualvollen Tod sterben, dies haben wir 2023 bei einer Bergungsaktion vor Rügen hautnah miterlebt. Auch mit einer anderen Organisation (Baltic Sea Heritage Rescue Project) hatte unser Projektpartner Wolfgang Frank bei einer Bergungsaktion eine Robbe im Geisternetz entdeckt. Wenngleich das Bergen dieser todbringenden Altlasten aus der Fischerei alternativlos ist, um Robben, Schweinswale und andere Meeresbewohner nachhaltig zu schützen, so muss es aufgrund der Vielzahl der aktuellen Totfunde eine andere Ursache geben. Im Fokus stehen hierbei insbesondere Reusen, auch die Möglichkeit einer gezielten Köderung der Robben wird in Erwägung gezogen.
Es ist dringend erforderlich, diese Verdachtsmomente durch intensivere Kontrollen gründlich zu überprüfen – die Identifizierung der Ursache muss höchste Priorität haben. Nicht nur um ein robbensicheres Umfeld zu schaffen, sondern auch um eine Situation wie vor sieben Jahren auszuschließen: 2017 gab es ebenfalls ein Robbensterben, zwei Dutzend Tiere starben. Die Ursache blieb ungeklärt. Unser erfahrener Netzberger Robert Röske (Dive Baltic Sea Rügen) äußert die Sorge, dass sich dieses Szenario jetzt wiederholen könnte, da derzeit verschiedene Faktoren vermischt werden und die wahren Verursacher im Dunkeln bleiben.
Restlose Aufklärung muss oberste Priorität haben – Petition gestartet:
Die Politik steht in der Verantwortung! Insbesondere da die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie die Kegelrobbe als europäische Prioritätsart unter besonderen Schutz stellt. Es ist von höchster Dringlichkeit, dass die Behörden die Todesursache der mindestens 40 verendeten Tiere vollständig aufklären. Nur so kann weiterer Schaden an der Population vor Rügen verhindert und deren Erhalt gesichert werden.
Nach Angaben der Wasserschutzpolizei werden die Ermittlungen gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft Stralsund fortgesetzt. Zuvor hatten das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund und das Biosphärenreservat Südost-Rügen Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt.
Mittlerweile hat der BUND Mecklenburg-Vorpommern eine Online-Petition ins Leben gerufen, die an die Landesregierung adressiert ist. Ministerpräsidentin Schwesig und Minister Dr. Backhaus werden darin aufgefordert, die Ermittlungen mit aller Konsequenz und Intensität durchzuführen, Spurensicherungen und DNA-Analysen an Fischereigeräten, Booten und sonstigen Objekten vorzunehmen, die in der Nähe des Fundortes der toten Robben zum Einsatz kamen und effektivere Fischereikontrollen durchzuführen.
Hier kannst Du die Online-Petition unterschreiben.
Helft mit!
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