Pinger, PAL und Co. – die Rettung der Schweinswale vor den tödlichen Stellnetzen in der Ostsee?
GRD-Fachbeitragsreihe
Teil 1
Unser einziger „heimischer“ Wal an Deutschlands Küsten, der Schweinswal, ist bedroht. Die wohl größte Gefahr geht von Stellnetzen aus. Dies gilt insbesondere für die Population in der zentralen Ostsee. Damit der Ostsee-Schweinswal nicht ausstirbt und in die Fußstapfen des fast ausgerotteten Vaquita tritt, sind dringend Schutzmaßnahmen erforderlich.
Stellnetze bringen die Wale in große Gefahr
Stellnetze werden von der Küstenfischerei u.a. zum Fang von Hering, Dorsch, Scholle und Steinbutt eingesetzt. Die Schweinswale können dieses Fangsystem mit ihrem Biosonar erst spät orten und sind dann oftmals nicht mehr in der Lage, auszuweichen. Die Folgen sind in den meisten Fällen tödlich. Weltweit verenden schätzungsweise jährlich mehr als 650.000 Meeressäuger in den Fanggeräten der Fischereiindustrie, wobei die meisten Tiere in Stellnetzen sterben. Aber auch Schleppnetze, Reusen und Geisternetze stellen eine Gefahr für die Meeresbewohner dar.
Bisherige Maßnahmen zur Beifangvermeidung ohne Erfolg
Die am weitesten verbreitete Methode zur Beifangreduzierung sind sogenannte Pinger – akustische Signalgeber, welche die Meeressäuger vergrämen und damit von den Stellnetzen fernhalten sollen. Die EU-Verordnung vom Jahr 2004 schreibt zwar den Einsatz von Pingern an Stellnetzen vor [1], allerdings nur für Boote mit einer Länge von über zwölf Metern und damit nicht für den größten Teil der Fischereiflotte: den Küstenfischer:innen. Die Erfolglosigkeit dieser Maßnahme wird schon dadurch deutlich, dass sich die Bestände des Ostsee-Schweinswals nach wie vor nicht erholt haben. Im Gegenteil: Am Beispiel der Küsten von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich, dass die Anzahl der Schweinswaltotfunde dauerhaft gestiegen ist, wobei bis zu 53 Prozent der Totfunde auf Stellnetze zurückgehen [2].
Viele Schweinswale sterben als Beifang in den bis zu 15 km langen Stellnetzen.
Grafik: © BR/Henrik Ullmann
Pinger: Die Nachteile überwiegen
Wissenschaftliche Untersuchungen zu Pingern in Norwegen haben gezeigt, dass damit der Beifang von Schweinswalen um bis zu 94 Prozent reduziert werden kann [3]. Was zunächst hervorragend klingt, hat allerdings gravierende Nachteile: Weitere wissenschaftliche Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass die Tiere nicht nur von den Stellnetzen vertrieben werden, sondern mit großer Wahrscheinlichkeit auch aus ihrem natürlichen Habitat. Darüber hinaus kann bei den Schweinswalen ein Gewöhnungseffekt hinsichtlich der „Störsignale“ auftreten. Zudem tragen Pinger zur generellen akustischen Verschmutzung der Meere bei [4]. Die mit ihrem Einsatz verbundenen komplexen Wechselwirkungen sind ebenfalls in einer Studie von dänischen Wissenschaftlern dokumentiert.
Mögliche Auswirkung der Pingerdichte auf Beifang und Populationszustand.
Grafik: Emergent interactions in the management of multiple threats to the conservation of harbour porpoises / Interaktionen im Management von mehreren Bedrohungen für den Schutz von Schweinswalen (ScienceDirect, Creative Commons)
Es wird auf der einen Seite deutlich, dass Pinger zwar den Beifang reduzieren können, allerdings nur bei verbreiteter Anwendung im Rahmen eines aktiven Managements. Gleichzeitig steigt mit zunehmender Pingerdichte das Risiko für PCoD (Population Consequences of Disturbance), also einer Verhaltensänderung und negative Auswirkung auf den Gesundheitszustand der Tiere. Die Folgen können in einer verminderten Resilienz der Tiere bestehen und darin, dass ihr Reproduktionspotential abnimmt.
Sollten auf der anderen Seite z.B. durch Nichtbeachtung der Vorschriften zu wenige Pinger eingesetzt werden, kann dies die Beifangrate sogar erhöhen, da die Tiere dann in Fanggebiete ohne Pingereinsatz ausweichen und auf diese Weise das Beifangrisiko steigt [5].
PALs – die Tiere in ihrer eigenen „Sprache“ vor dem Tod warnen
Als Weiterentwicklung von Pingern können die sogenannten PALs (Porpoise-ALerting Devices) bezeichnet werden, die an der Ostseeküste von Schleswig-Holstein seit 2017 von Fischer:innen freiwillig eingesetzt werden. Schweinswale nutzen ihr Echolotsystem sowohl zur Kommunikation als auch zur Orientierung. Die dabei erzeugten hochfrequenten Schallwellen, sogenannte Klicks, liegen mit ca. 130 kHz im Ultraschallbereich. Die PALs wurden so programmiert, dass sie schweinswaltypische Warnlaute aussenden, die im gleichen Frequenzbereich liegen.
Die Intention ist, die Tiere vor den Stellnetzen rechtzeitig zu warnen bzw. anzuregen, ihr Echolotsystem zu aktivieren. Erste wissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass der Einsatz von PALs den Beifang von Schweinswalen deutlich reduzieren kann [6]. Unklar allerdings bleibt bis dato, ob bei dem Einsatz von PALs nicht auch negative Effekte wie räumliche Vertreibung oder Gewöhnungserscheinungen bei den Tieren entstehen [7]. Des Weiteren stellt sich die Frage, inwieweit bei einem großflächigen Einsatz durch die Fischereiindustrie die „Warnsignale“ der PALs zu chronischem Stress bei den Meeressäugern führen.
Stellnetze für den Schweinswal sichtbar machen und alternative Fangmethoden
Da das Hauptproblem für den Schweinswal in Bezug auf Stellnetze darin besteht, dass er sie nicht rechtzeitig erfassen kann, sollte die Forschung diesbezüglich weiter vorangetrieben werden. Gute Ansätze liefert das in den Jahren 2016 bis 2020 durchgeführte Projekt „STELLA“ (STELlnetz-Lösungs-Alternativen). Im Rahmen des Projektes wurde ein sogenanntes „Perlennetz“ entwickelt, bei dem Stellnetze mit Acrylperlen versehen werden.
Nahaufnahme des neu entwickelten “Perlennetzes”
©Thünen-Institut für Ostseefischerei
Die Perlen wirken bei der Reflexion des Schweinswalechos deutlich größer als in Wirklichkeit und machen das Netz somit sichtbar [8]. Erste Tests deuten darauf hin, dass der Einsatz dieser modifizierten Stellnetze den Beifang von Schweinswalen reduzieren kann. Wissenschaftlich abgesicherte Ergebnisse wird hoffentlich das aktuell noch laufende Nachfolgeprojekt „STELLA2“ liefern.
Dringender Handlungs- und Forschungsbedarf besteht auch bei der Entwicklung von alternativen Fangmethoden für die Küstenfischerei, die Beifänge von Meeressäugern und Seevögeln verhindern. Auch hier gibt es erfolgsversprechende Ansätze wie die Weiterentwicklung von Fischfallen und Ponton-Hebereusen [9].
Fazit: Gute Ansätze ersetzen keine Schutzgebiete
Zum jetzigen Zeitpunkt muss konstatiert werden, dass noch keine Methode ausreichend erforscht wurde, um Schweinswale dauerhaft und ohne negative Begleiterscheinungen vor dem Tod im Stellnetz zu schützen. Der Einsatz von Pingern kann nur vorübergehend sein, da sich wie geschildert erhebliche Auswirkungen auf die Tiere ergeben können. Durch die zunehmende Urbanisierung der Küsten und den Ausbau der erneuerbaren Energien über Offshore-Windparks besteht ohnehin schon die Gefahr, dass maritime Arten wie die Schweinswale ihre Lebensräume wechseln. Somit wird die Lärmbelastung weiter steigen, was einen umfassenden Einsatz der Pinger-Technologie ausschließt. Forscher:innen der Technischen Universität Dänemark weisen in diesem Kontext auf die notwendige Berücksichtigung der Wechselwirkung hin, die zwischen der Lärmbelastung maritimer Tiere und entsprechenden Schutzmaßnahmen zur Reduzierung des Beifanges besteht [10].
Die PAL-Technik kann nach weiterer wissenschaftlicher Absicherung helfen, die Beifangrate an den Stellnetzen auf ein Minimum zu reduzieren. Allerdings sollte der Einsatz dann nicht freiwillig, sondern verpflichtend sein. Dass Beifänge auch trotz PAL-Technik passieren, zeigt der aktuelle Bericht zum Totfundmonitoring an Schleswig-Holsteins Küsten [11]. Es sollten daher die Forschungsbemühungen hinsichtlich alternativer Fangmethoden sowie der Optimierung von Stellnetzen weiter vorangetrieben werden.
Abschließend kann festgehalten werden, dass es sinnvolle Ansätze gibt, Schweinswale außerhalb von Schutzgebieten besser zu schützen. Die GRD fordert aber ganz klar, dass der Großteil der Schutzgebiete ohne Fischerei und wirtschaftliche Nutzung realisiert werden muss.
Die Fachbeitragsreihe im Überblick
FACHBEITRAG I
Pinger, PAL und Co. – die Rettung des Schweinswals vor den tödlichen Stellnetzen in der Ostsee?
zum Fachbeitrag
FACHBEITRAG II
Anthropogener Lärm in Nord- und Ostsee – große Gefahr für die Meeressäuger
zum Fachbeitrag
FACHBEITRAG III
Wie der Mensch die marinen Ökosysteme an ihre Belastungsgrenze bringt – mit dem Hauptfokus auf dem Lebensraum der Schweinswale in Nord- und Ostsee
zum Fachbeitrag
FACHBEITRAG IV
Wirksame Schutzgebiete – die einzige Chance zur Erhaltung der Populationen
zum Fachbeitrag
FACHBEITRAG V
Deutschlands „Walschutzgebiet“ vor Sylt und Amrum – ein Erfolgsmodell zum Schutz des Schweinswals?
zum Fachbeitrag
Literatur
[2] Vgl. https://www.delphinschutz.org/news-fischerei/wird-der-schweinswalschutz-auf-die-leichte-schulter-genommen/ Vgl. https://www.lung.mv-regierung.de/dateien/totfundmonitoring_schweinswal.pdf Vgl. Culik, Boris u.a.: Akustischer Schutz für Meeressäuger: neues Warngerät PAL, in: Proceedings der 43. Jahrestagung für Akustik. DAGA 2017 Kiel: 387-390. Vorlage für Beiträge zur DAGA (f3mt.net)
[3] Vgl. Moan, André/ Bjorge, Arne >>>: Pingers reduce harbour porpoise bycatch in Norwegian gillnet fisheries, with little impact on day-to-day fishing operations, in: Fisheries Research 259, 2023.
[4] Einen guten Überblick zur Forschungslage gibt der folgende Bericht: Vgl. von Dorrien C, Chladek J (2018): Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Fischerei durch Entwicklung innovativer, praxistauglicher PAL-Warngeräte zur Minimierung von Schweinswal-Beifängen – Schlussbericht des Teilprojektes 1. Rostock: Thünen-Institut für Ostseefischerei, 17 p Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Fischerei durch Entwicklung innovativer, praxistauglicher PAL-Warngeräte zur Minimierung von Schweinswal-Beifängen – Schlussbericht des Teilprojektes 1 (thuenen.de)
[5] Vgl. Lusseau, David, u.a. >>>: Emergent interactions in the management of multiple threats to the conservation of harbour porpoises, in: Science of The Total Environment, 855, 2023.
[6] Vgl. Chladek, Jérôme u.a. >>> : Synthetic harbour porpoise (Phocoena phocoena) communication signals emitted by acoustic alerting device (Porpoise ALert, PAL) significantly reduce their bycatch in western Baltic gillnet fisheries, in: Fisherie Research 232, 2020.
[7] Hierzu soll ein noch bis 2024 laufendes Projekt Aufschluss geben: PAL-CE (deutsches-meeresmuseum.de)
[8] Vgl. Krumme, Uwe u.a.: Stellnetzfischerei-Lösungsansätze, Thünen Report 97, 2022. https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn065274.pdf
[9] Vgl. https://www.thuenen.de/de/fachinstitute/ostseefischerei/projekte/fischerei-surveytechnik/stella2
[10] Vgl. Lusseau, David, u.a. >>> : Emergent interactions in the management of multiple threats to the conservation of harbour porpoises, in: Science of The Total Environment, 855, 2023.
[11] Vgl. Siebert, Ursula u.a. (2023): Totfundmonitoring von Kleinwalen und Kegelrobben in Schleswig-Holstein im Jahr 2022, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung. https://www.schleswig-holstein.de/DE/fachinhalte/A/artenschutz/Downloads/schweinswalKegelrobbenbericht2022.pdf?__blob=publicationFile&v=2
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