Die Politik muss endlich liefern: Die Nordsee ist in einem kritischen Zustand

von | 31. Oktober 2024 | News - Fischerei

Die Nordsee und ihre Bewohner benötigen dringend ganzheitliche Schutzmaßnahmen im Sinne des Ökosystem-Ansatzes

Unser heimisches Meer steht unter zu hohem Nutzungsdruck und ist von einem guten Zustand seiner Ökosysteme meilenweit entfernt. Dies spiegelt sich sowohl im aktuellen Bericht zum Zustand der deutschen Nordseegewässer 2024 als auch in der umfassenden Studie Faktencheck Artenvielfalt wider. Die besorgniserregende Situation ist ohne Wenn und Aber ein Resultat verfehlter Politik. Naturschutz muss endlich ganzheitlich realisiert werden und auf Augenhöhe mit den vielfältigen Nutzungsinteressen stehen, wie wir in unseren Stellungnahmen und Forderungen verdeutlichen.

Ausgangslage für die Nordsee

Die gesteckten Ziele sind groß. Bis zum Jahr 2030 soll laut EU-Biodiversitätsstrategie die Kehrtwende bei der Entwicklung der biologischen Vielfalt erreicht sein. Deutschland hat sich verpflichtet, 30 Prozent der Meeresflächen unter Schutz zu stellen und diese Gebiete aktiv zu managen. Für die Meere kommt dabei der sogenannten Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie besondere Bedeutung zu. Sie gibt innerhalb der EU seit 2008 die Eckpunkte für den Meeresschutz und damit Schutzmaßnahmen vor. Ein zentrales Element ist der sogenannte Ökosystem-Ansatz. Die Zielsetzung besteht u.a. darin, Meeresschutz ganzheitlich zu betrachten und eine Balance zwischen nachhaltiger Nutzung sowie dem Schutz der Natur zu finden.

No-Go: Die aktuelle Meeresraumplanung stellt den Naturschutz hinten an

Ein Blick auf den aktuellen Raumordnungsplan für die deutsche ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) in der Nordsee verheißt für den Meeresschutz nichts Gutes. Der Druck auf die Ökosysteme ist immens: Ob Windenergie, Schifffahrt, Versorgungsleitungen, Forschung oder Militär – es bleibt wenig Raum für den Naturschutz. Selbst Deutschlands Meeresschutzgebiete in der AWZ sowie des Küstenmeeres bleiben von diversen anthropogenen Nutzungen nicht verschont. Die Folgen sind gravierend. 

Meeresraumplanung in der deutschen AWZ – der immense Nutzungsdruck ist unübersehbar.
Foto entnommen und ergänzt: Meeresnutzung (geoseaportal.de)

Die Entwurfsfassung des aktuellen Zustandsberichtes für die deutschen Nordseegewässer 2024 bestätigt die Auswirkungen einer Politik, in der Naturschutz nur eine untergeordnete Rolle spielt. Zu Beginn des Berichts heißt es: „Weder haben die zu hohen Belastungen durch menschliche Aktivitäten im Bewertungszeitraum ausreichend abgenommen noch hat sich der Zustand der marinen biologischen Vielfalt und der Meeresökosysteme verbessert.“ Die Nordsee ist nach wie vor großräumig durch Eutrophierung, Müll, Schadstoffe und Unterwasserlärm belastet. Auch die gerade veröffentlichten Ergebnisse der umfangreichen Untersuchung „Faktencheck Artenvielfalt“ bestätigen diese Tendenz: So gelten beispielsweise neun Prozent der Lebensraumtypen am Meeresboden als vollständig vernichtet und bei den Biotopen der Küste sind 88 Prozent der untersuchten Flächen langfristig gefährdet. Die Autor:innen stellen klar: Das Biodiversitätsziel wird nicht erreicht.

Ein Symbol für unzureichenden Meeresschutz in der Nordsee stellt der Schweinswal  dar, für den sich die GRD in besonderem Maße einsetzt. Die in der Nordsee lebenden Schweinswale haben laut Roter Liste den Status „gefährdet“ – und das zu Recht! Obwohl sie unter strengem Schutz stehen, sind die Bestände in den letzten 20 Jahren zurückgegangen und befinden sich überwiegend in einem schlechten Gesundheitszustand.
Foto: Kerteminde

Die GRD Standpunkte:

1. Naturschutz muss gleichberechtigt neben Nutzungsinteressen stehen

Die deutschen Meere und ihre Bewohner benötigen dringend ernstgemeinte und ganzheitlich abgestimmte Schutzmaßnahmen. Obwohl über 40 Prozent der Meeresflächen offiziell einen Schutzstatus haben, befinden sich unsere Meere in keinem guten Zustand. Die Ozeane haben ihre Belastungsgrenze erreicht. Eine nachhaltige Verbesserung des Status quo wird nur mit weniger Nutzung einhergehen. Im ersten Schritt muss dazu die maritime Raumplanung so gestaltet werden, dass der Naturschutz wirklich gleichberechtigt neben den anderen Nutzungsinteressen steht. Beispielsweise sollten die für die Energiewende notwendigen Windkraftanlagen an den Stellen konzentriert werden, wo sie möglichst wenige sensible Arten gefährden und trotzdem ihren Beitrag für Deutschlands Energiewende leisten können. Dazu sind Untersuchungen erforderlich, welche die Auswirkungen der Offshore-Energieerzeugung ganzheitlich bewerten. Zusätzlich sind alle zur Verfügung stehenden technischen Möglichkeiten zur Lärmreduzierung auszuschöpfen.

2. Meeresschutzgebiete müssen effektiven Schutz bieten

Darüber hinaus müssen Meeresschutzgebiete ihrem Namen endlich gerecht werden, um ihre volle Wirksamkeit in Bezug auf die Biodiversität zu entfalten. Sogenannte „Paperparks“, bei denen die Ausweisung neuer Schutzgebietsflächen Vorrang vor der Gewährleistung einer wirksamen Schutzfunktion hat, müssen durch ein effektives Management beseitigt werden.

Industrielle Fischerei, Windkraft und hochfrequentierte Schifffahrtsrouten dürfen in Schutzgebieten nicht erlaubt sein. Es passt nicht zusammen, wenn sich die Natur nicht einmal in Meeresschutzgebieten mit dem Status „UNESCO Weltkulturerbe“ erholen kann. Selbst dort besteht nur unzureichender Schutz, da in weiten Teilen die für die Ökosysteme so schädliche grundberührende Fischerei durchgeführt wird. Auch Schnellfahr-Korridore für den Schiffsverkehr, Stellnetze und Ausnahmeregelungen (Fischerei) für bestimmte EU-Fischer müssen in Meeresschutzgebieten dringend der Vergangenheit angehören. Weitergehend werden innerhalb der Schutzgebiete Zonen benötigt, in denen jegliche Nutzung durch den Menschen untersagt ist. Diese sogenannten Nullnutzungszonen sollten in Deutschland und innerhalb der EU mindestens 50 Prozent der Meeresschutzgebiete ausmachen, um eine Erholung der Artenvielfalt zu ermöglichen. Aktuell liegt der Anteil der Nullnutzungszonen innerhalb der EU bei maximal einem Prozent. Damit ist man selbst von dem bis zum Jahre 2030 anvisierten EU-Ziel, zehn Prozent der Meeresgebiete unter strengen Schutz zu stellen, noch weit entfernt.

3. Die Politik muss ihren Auftrag erfüllen

Dies gilt zum einen für die Bundesregierung und ihre im Koalitionsvertrag festgeschriebene Nationale Meeresstrategie, auf die der Meeresbeauftragte Herr Unger im Interview mit der GRD verwiesen hat. Zum anderen sind auch die Landesregierungen gefragt, die Missstände in den von Ihnen zu verantworteten Meeresschutzgebieten (Nationalparks Wattenmeer) im Bereich des Küstenmeeres zu beseitigen.

Es gibt keine Alternative zu ernstgemeintem Natur- und Meeresschutz

Zielsetzung einer erfolgreichen Umweltpolitik muss es sein, der Gesellschaft zukünftig die Vorteile gesunder Ökosysteme deutlicher zu vermitteln. Ohne sie werden effektiver Klimaschutz und die Abmilderung des Klimawandels nicht gelingen. Sie liefern nicht nur lebensnotwendige Ressourcen wie beispielsweise saubere Luft, Nahrung und Trinkwasser, sondern stellen auch einen gewaltigen Wirtschaftsfaktor dar. Mehr als die Hälfe des weltweiten Bruttosozialproduktes ist laut des Weltwirtschaftsforums direkt oder indirekt abhängig von der Natur und ihrer „Leistungsfähigkeit“. Im Klartext: Am Natur- und Meeresschutz führt kein Weg vorbei!  

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