Wie der Mensch die marinen Ökosysteme an ihre Belastungsgrenze bringt

GRD-Fachbeitragsreihe

Teil 3

Das Meer bedeckt über 70 Prozent der Erdoberfläche unseres Planeten und es geht ihm und vielen seiner Bewohner nicht gut. Das gilt auch für die Nord- und Ostsee. Insbesondere das Ökosystem der Ostsee droht zu kollabieren. Nachdem im Fachbeitrag II die Auswirkungen des vom Menschen verursachten Unterwasserlärms thematisiert wurden, stehen nun weitere anthropogene Faktoren im Fokus, welche die marinen Ökosysteme und ihre Lebewesen vor große Herausforderungen stellen. Die Einleitung von Abfällen, Nähr- und Schadstoffen, Mikroplastik etc. hat gravierende Auswirkungen auf die Meeresumwelt und betrifft letztendlich alle lebenden Organismen und damit auch den Schweinswal.

Bedrohung der Artenvielfalt durch Eutrophierung

Im Gegensatz zur Nordsee als Randmeer des Atlantiks ist die Ostsee ein überwiegend geschlossenes Gebiet, was das Binnenmeer für Belastungen durch Nähr- und Schadstoffe besonders anfällig macht. Sie ist nur durch kleine Meerengen mit der Nordsee verbunden und benötigt für einen vollständigen Wasseraustausch 25-30 Jahre. Dies hat zur Folge, dass nur 2-3 Prozent der Schadstoffe abfließen können [1].

Der Zustand von Nord- und Ostsee ist besorgniserregend – und die Ursachen hinlänglich bekannt: Die Küsten- und Zufluss-Gebiete sind geprägt von starker Industrialisierung und landwirtschaftlicher Nutzung. Eines der größten Probleme stellt die sogenannte Eutrophierung dar, also die Anreicherung von Nährstoffen im Wasser durch die Landwirtschaft, durch die Atmosphäre und durch Abwässer. Die Folgen können sein: zu wenig Sauerstoff, vermehrtes Wachstum giftiger Algen und damit Bedrohung des Artenreichtums.

Bohrinsel und Windpark vor Fehmarn
© Holger Ellgaard

In der deutschen Nordsee gelten mindestens 55 Prozent als von Eutrophierung betroffen. In der Ostsee sieht es noch schlimmer aus. In keinem der im Rahmen der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) untersuchten Gebiete konnte ein „guter Zustand“ festgestellt werden [2]. Für die gesamte Ostsee wird angenommen, dass ca. 97 Prozent der oberen Wasserschichten von Eutrophierung betroffen sind [3]. Dieser dramatische Zustand ist nicht verwunderlich: Kaum ein Meer wird weltweit derart umfangreich vom Menschen genutzt und damit beeinflusst. Es fehlen beispielsweise im östlichen Bereich der Ostsee bei bis zu 50 Prozent der Siedlungen noch immer Anschlüsse an Kläranlagen, sodass die Abwässer direkt ins Meer geleitet werden [4]. Stoffe wie Phosphor und Stickstoff begünstigen die Entstehung von sogenannten Todeszonen, also Gebieten mit derart geringem Sauerstoffgehalt, dass Pflanzen und Tiere nicht überleben können. Im vergleichsweise kleinen Binnenmeer Ostsee befindet sich eine der größten Todeszonen weltweit.

Im aktuellen Ostseeaktionsplan 2021-2030 (HELCOM) wird die Eutrophierung als große Gefahr für das Ökosystem eingestuft. Als sinnvolle Maßnahmen werden vorgeschlagen: u.a. kleinschrittigere Überwachung der Nährstoffeinträge, Förderung des ökologischen Landbaus, Reduzierung der Stickstoffemissionen, Optimierung der Abwasserwirtschaft, Nährstoff-Recycling etc. [5]. Problematisch ist allerdings das Zeitfenster. Selbst bei erfolgreicher Umsetzung der Maßnahmen des Ostseeaktionsplans wird eine „guter“ Zustand erst im Jahr 2100 erreicht. Diese Einschätzung basiert auf einer Studie, bei der Wissenschaftler:innen den Eutrophierungsstatus in der Ostsee modellierten [6].

Prognose der Eutrophierung in der Ostsee
© frontiersin

Für die Nordsee stellt sich die Situation nicht ganz so dramatisch wie für die Ostsee dar. Von einem guten Zustand kann aber auch hier keine Rede sein. Optimistische Prognosen gehen davon aus, dass ein „guter Zustand“ in der offenen Nordsee sowie an den Küsten in Bezug auf die Eutrophierung in zehn Jahren erreicht werden kann [7]. Ob das Umweltziel 1 „Meere ohne Beeinträchtigung durch anthropogene Eutrophierung“ für die Nordsee und vor allem die Ostsee in naher Zukunft erreicht wird, muss bezweifelt werden. Fraglich ist, dass in sämtlichen Schätzungen, Modellrechnungen und Prognosen der vergangenen Jahre die Einflüsse des Klimawandels entsprechend berücksichtigt wurden. Fakt ist, dass die Veränderung des Klimas Eutrophierungsprozesse deutlich verstärken wird, was wiederum die sauerstoffarmen Zonen weiter vergrößern und regionale Ökosysteme zerstören wird [8].

Eingeleitete Schadstoffe haben Halbwertszeiten von z.T. 100 Jahren

Neben den Nährstoffen sind die Meere auch einem immensen Chemiecocktail in Form von Schadstoffen ausgesetzt. Die verschiedenen Umweltgifte stammen beispielsweise aus der Verbrennung von Müll oder fossiler Brennstoffe, Ölverschmutzungen oder aus landwirtschaftlichen bzw. industriellen Abwässern. Die vom Menschen verursachten persistenten organischen Schadstoffe reichern sich in Organismen an und verbreiten sich durch die Nahrungskette. Sie sind langlebig und können sich sowohl übers Wasser, die Luft oder wandernde Tierarten übertragen. Ihre lange biologische Halbwertszeit sorgt dafür, dass sie sich im Fettgewebe anreichern (Bioakkumulation).

Anreicherung von Schadstoffen in Lebewesen über die Nahrung
Grafik: Science Direct

Problematisch ist dies vor allem für jene Tiere, welche am Ende der Nahrungskette stehen, wie Meeressäuger. Sie haben große Fettspeicher und fressen als „Warmblüter“ umfangreiche Mengen an schadstoffhaltiger Nahrung. Durch ihre im Verhältnis lange Lebensdauer können sich die Schadstoffe im Laufe der Zeit anreichern [9]. Für den Schweinswal wurde nachgewiesen, dass insbesondere die sogenannten POPs (persistent organic pollutions) eine große Gefahr darstellen [10].

Schadstoffe wie DDT, PCB, TBT und metallische Spurenelemente sind endokrin wirkende Chemikalien (EDCs), die sich auf folgende Bereiche auswirken können:

  • die Gehirnfunktion
  • das Immunsystem
  • die Anfälligkeit für Krankheiten
  • die Sterblichkeit und
  • die Fortpflanzungsfähigkeit der Meeressäuger [11].

Das oft als Weichmacher, Kühl- oder Schmiermittel eingesetzte PCB wurde zwar Mitte der 1980er Jahre verboten, kontaminiert aufgrund der langen Halbwertszeit aber nach wie vor die Ökosysteme der Meere. In diesem Zusammenhang weist eine aktuelle Studie in der belgischen Nordsee auf mögliche Gefahren hin, die beim Ausbaggern von Wasserstraßen, Häfen etc. für die marine Meereswelt bestehen, da die ausgebaggerten Sedimente oft eine hohe Schadstoffbelastung aufweisen [12].

Für die Ostsee zeigt das Ergebnis einer Screening-Studie zu gefährlichen Stoffen für Meeressäuger einen Chemiecocktail aus 47 unterschiedlichen Schadstoffen, wobei folgende Stoffe am häufigsten vorkommen: PFAS (besonders beständige Chemikalien), Pflanzenschutzmittel, Arzneimittel und andere Industriechemikalien. Die besonders schädlichen Verbindungen PCB und DDE wurden bei allen Proben nachgewiesen. Die Autor:innen der Studie geben an, dass bei 33 Stoffen die toxikologischen Schwellenwerte überschritten werden, was auf gesundheitliche Beeinträchtigungen für die Meeressäuger hinweist [13].

Massive PCB-Belastung bei Schweinswalen nachgewiesen

Eine Studie, in der die Schadstoffbelastung von gestrandeten Schweinswalen aller Altersklassen im Zeitraum 2008 – 2019 an der niederländischen Nordseeküste untersucht wurde, zeigt den Transfer der Schadstoffe von erwachsenen Tieren auf Jungtiere bzw. Kälber: 92 Prozent der untersuchten erwachsenen Tiere wiesen eine PCB-Belastung auf, die den Grenzwert für gesundheitliche Auswirkungen übersteigt.

Wege der Schadstoffaufnahme sowie der Schadstoffweitergabe bei Schweinswalen
Grafik: Science direct

Es zeigte sich, dass Schadstoffe sowohl über die Plazenta als auch über die Muttermilch (Laktation) auf die Föten bzw. Walkälber übertragen werden. Folglich sind selbst Neugeborene schon Schadstoffkonzentrationen ausgesetzt, die über dem Schwellenwert für gesundheitliche Auswirkungen liegen. Die Forscher:innen konstatieren auch, dass die Wahrscheinlichkeit einer höheren Sterblichkeit durch Infektionskrankheiten bei steigender PCB Belastung zunimmt [14].

Die Ausführungen unterstreichen die Erkenntnis des aktuellen Berichtes des MSRL-Maßnahmenprogrammes, indem zu Recht festgestellt wird, dass für die Nordsee ein „guter Umweltzustand“ auch für das Umweltziel 2 „Meere ohne Verschmutzung durch Schadstoffe“ nicht erreicht wird. Auch für den Bereich der Schadstoffbelastung muss geschlussfolgert werden, dass sich die Effekte des Klimawandels negativ auswirken werden. Beispielsweise ist davon auszugehen, dass das Ökosystem Wattenmeer in der Nordsee von steigenden Wasserpegeln bedroht ist. In Folge von Erosion und Überschwemmung werden Wattgebiete und Salzwiesen schrumpfen. Da sie im intakten Zustand u.a. eine Reinigungsfunktion haben, indem sie Nähr- und Schadstoffe aufnehmen, wird ihre Verkleinerung die Schadstoffbelastung in den Küstengewässern erhöhen [15].

Die Meere sind verseucht durch Plastik – Tendenz steigend!

Plastikverschmutzungen belasten mittlerweile alle marinen Ökosysteme weltweit, mit sehr negativen Auswirkungen auf ihre Bewohner. Ähnlich wie Schadstoffe sind Kunststoffe nur schwer biologisch abbaubar und verbleiben Jahrzehnte im Meer. Erschreckende Fakten nennt dazu ein aktueller wissenschaftlicher Aufsatz [16]:

  • Jährlich gelangen 4 bis 13 Millionen Tonnen an Kunststoffen in die Meere
  • In den Ozeanen schwimmen nur auf der Wasseroberfläche schon mehr als fünf Milliarden Plastikteile mit einem Gewicht von über 250.000 Tonnen
  • 70 Prozent des weltweiten Mülls, der in die Meere gelangt, stammt aus zehn großen Flüssen
  • 1950 wurden weltweit 1,7 Millionen Tonnen Kunststoff produziert und 2021 ca. 391 Millionen Tonnen, wobei Schätzungen davon ausgehen, dass sich diese Zahl in den nächsten zwei Jahrzehnten nochmal verdoppeln wird!

Die massive Belastung durch Müll macht auch vor der Nord- und Ostsee nicht halt. Der Haupteintrag der Kunststoffe in die Meere erfolgt über Flüsse, Kanäle, Abwässer und Schiffsabfälle. Exemplarisch für die Schleswig-Holsteinische Ostseeküste wurde aber auch nachgewiesen, dass die Müllbelastung an den Küsten durch den Tourismus steigt [17].

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Geisternetzbergung der GRD vor Rügen
Video: Robert Röske

Die Belege dafür, dass Plastikmüll die Ökosysteme bedroht und den Meeresbewohnern Schaden zufügen kann, liegen zahlreich vor. Für Delfine und Wale bestehen gleich mehrere Gefahren: Oft werden Plastiktüten und ähnliche Gegenstände mit Beutetieren verwechselt, was die Verstopfung der Mägen und nicht selten den Hungertod zur Folge hat. Zudem töten Geisternetze Delfine, Wale und eine Vielzahl anderer Meeresbewohner.

Mit Blick auf die Eindämmung des Problems ist es daher von entscheidender Bedeutung zu untersuchen, aus welchen Quellen der Müll stammt und auf welchen Wegen er sich verteilt. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zu den Quellen und der Verbreitung von Makroplastik in der südlichen Nordsee zeigt auf, dass über 97 Prozent aller identifizierten Abfälle aus Kunststoff bestehen. Weiterhin bestätigt die Studie Ergebnisse früherer Untersuchungen, welche die Fischerei als Hauptquelle für Abfall in der Nordseeregion identifiziert haben [18]. Ein weiteres Problem stellen Schiffsunglücke und deren Folgen dar.

Containerschiffrouten im Mai 2021
Grafik: Science direct 

Die massive wirtschaftliche Nutzung der Nordsee durch Containerschiffe (Lesetipp: Schiffskollisionen – Gefahr für Delfine und Wale) hat nicht nur Auswirkungen für den Unterwasserlärm. Von 1917 bis 2021 ereigneten sich 39 Prozent der weltweit gemeldeten Fracht- bzw. Containerverluste in bzw. nahe der Nordsee. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass während des Ersten und Zweiten Weltkriegs zahlreiche Schiffe mit ihrer Fracht versenkt worden sind. Die Verluste – ab den 1950er Jahren begann die Massenproduktion von Plastik – ziehen eine immense Kunststoffbelastung für das Ökosystem nach sich. Zur Verdeutlichung: Im Januar 2019 verlor ein Schiff 342 Container, wobei ca. 3257 Tonnen Ladung in die Nordsee gelangten. Experten nehmen an, dass ca. 25 Prozent der verlorenen Ladung dauerhaft in der Nordsee verblieben sind [19].

Zur Situation in der Ostsee: Sie ist eines der größten Binnenmeere der Welt und besteht überwiegend aus sauerstoffarmem Brackwasser. Das hat in diesen Gebieten einen Rückgang der Biodiversität zur Folge. Im Südwesten weist die Ostsee recht sauerstoffreiches Wasser auf, was mit einer hohen Artenvielfalt verbunden ist. Forscher gehen davon aus, dass 70-80 Prozent der Müllbelastung vom Land kommen und ca. 20-30 Prozent von verlorenen bzw. weggeworfenen Fanggeräten [20].

In der linken Abbildung sind über rote Punkte die größten Flussquellen für den Eintrag von Makroplastik in die Ostsee dargestellt. Der Durchmesser ist entsprechend des jährlichen Zustromes skaliert. Beispielsweise kommen über die Oder (dicker Punkt unten links) jährlich 67 Tonnen Makroplastik in die Ostsee. Die blauen Pfeile zeigen die gemittelte Oberflächenzirkulation an.
Die rechte Abbildung stellt eine Momentaufnahme der Makroplastikverteilung im Februar 2012 dar.
Grafiken: Journal Pone

Interessant ist die Tatsache, dass die räumliche Verteilung von Makroplastik in der Ostsee in Abhängigkeit von Strömungen und Winden stark schwankt, was die Prognose vor allem für sensible Ökosysteme und Schutzgebiete kaum vorhersehbar macht. Überträgt man diese Erkenntnisse auch auf die Nordsee wird umso deutlicher, wie entscheidend es ist, bei den Ursachen anzusetzen und die Quellen für den Eintrag von Kunststoffen deutlich zu reduzieren.

Mikroplastik „durchseucht“ die Meere und gefährdet die Ökosysteme

Doch nicht nur von Makroplastik geht eine Gefahr aus. Gleichzeitig findet eine Durchseuchung der Meere mit sogenanntem Mikroplastik (< 5 mm) statt. Dieser persistente Schadstoff ist in den Meeren mittlerweile allgegenwärtig. Ob in primärer Form, also kleinste Partikel, die z.B. für Kosmetikprodukte und Reinigungsmittel hergestellt werden, oder als sekundäres Mikroplastik, welches durch Zerfallsprozesse aus Makroplastik entsteht. In die Meere gelangen die nur wenige Millimeter großen Partikel im Prinzip auf den gleichen Wegen wie das Makroplastik, wobei die Kontamination auch über die Atmosphäre bzw. die Luft erfolgen kann, wenn es sich beispielsweise um Reifenabrieb handelt. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen: Sogar in weit abgelegenen Gebieten der Erde enthält die Meeresluft Mikroplastik [21].

In Nord- und Ostsee wie auch prinzipiell in allen Meeren ist Mikroplastik zu einem großen Umweltproblem geworden [22]. Man findet es überall, in der gesamten Wassersäule, den Sedimenten, an der Küste oder in den Hafenbecken. Die Ergebnisse einer Studie, die über ein Zeitfenster von 30 Jahren die Mikroplastikbelastung von Miesmuscheln untersuchte, zeigt sich folgende Entwicklung: Für die Nordsee stellen die Forscher:innen einen Anstieg von den 1980er Jahren bis in die 2000er Jahre fest. In der Ostsee wurden konstant höhere Werte ermittelt, die etwa auf dem Niveau der Nordsee in den 2000er Jahren liegen [23]. Aufgrund der langsamen Zersetzungsprozesse und der nach wie vor immensen Bedeutung von Kunststoffen für die modernen Gesellschaften, ist davon auszugehen, dass die Belastungskurve nach wie vor nach oben zeigt.

Modell für die Belastung der Meere mit Mikroplastik.
Grafik: Science direct

Im marinen Ökosystem ist es für kein Lebewesen möglich, dem Mikroplastik zu entkommen. Auch wenn die Küste und die Wassersäule sichtbare Orte der Plastikverschmutzung sind, landet der überwiegende Teil davon schließlich am Meeresboden. In den Sedimenten der Ozeane lagern nach Schätzungen über drei Millionen Tonnen und in der Wassersäule bis zu 90 Millionen Tonnen Mikroplastik. Die Autor:innen einer entsprechenden Studie nennen die Situation sehr bedrohlich, da die Konzentration in den meisten Fällen so hoch ist, dass von einer schädlichen Wirkung für das Benthos (alle Lebewesen in der Bodenzone eines Gewässers) ausgegangen werden muss [24]. Die Problematik, die dadurch entsteht, dass Mikroplastik über die Nahrungskette weitergegeben wird, trifft wie bei den Schadstoffen beschrieben Meeressäuger wie den Schweinswal besonders.

Erschwerend kommt hinzu, dass Mikroplastik oft als Schadstoffträger fungiert. Je kleiner Mikroplastik zerfällt, desto mehr werden Schadstoffe, Arzneimittelrückstände und andere Chemikalien von den Plastikkügelchen angezogen. Mit der Nahrungsaufnahme steigt somit das Risiko ernsthafter gesundheitlicher Auswirkungen für die Meeressäuger [25].

Dazu bestehen auch zwischen den kleinsten Plastikteilchen und den Auswirkungen des Klimawandels komplexe Wechselwirkungen. In diesem Kontext weisen Wissenschaftler:innen darauf hin, dass die intensivere Sonneneinstrahlung auf Mikro- bzw. Nanoplastikpartikel Treibhausgase freisetzt, was zu steigenden Emissionen beiträgt. Gleichzeitig führt intensives Sonnenlicht neben anderen Faktoren wie der mechanischen Belastung durch Wellen etc. dazu, dass sich Plastik schneller zersetzt. Makroplastik wird dadurch zu einer konstanten Quelle für den Eintrag kleinster Partikel in die Meere und die Vergiftung der Lebewesen steigt [26].

Es ist hilfreich und gut, dass es mittlerweile erfolgreiche Ansätze zur Reinigung der Meere von Abfällen gibt. Tritt die Prognose der OECD ein, die bis zum Jahr 2060 mit einer Verdreifachung der weltweiten Kunststoffabfälle rechnet, werden diese Maßnahmen allerdings nur kosmetischer Natur sein [27]. Auch die Tatsache, dass lediglich neun Prozent der globalen Plastikabfälle recycelt werden und 22 Prozent in keinen Abfallwirtschaftskreislauf eingeführt werden, gibt wenig Anlass zur Hoffnung auf Besserung [28].

Schlussfolgerungen

Die Summe aller Ausführungen zeigt, wie belastet die Ökosysteme in Nord- und Ostsee sind. Zur Wahrheit gehört ebenfalls, dass die Umweltziele der europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtline (MSRL) nicht erreicht werden, und es wurde festgestellt, dass sich die Meeresökosysteme sowie die marine ökologische Vielfalt in keinem guten Zustand befinden [29].

Deutschland hat aber die Verpflichtung, die in der europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtline definierten Ziele zu erreichen. Dies wird nur möglich sein, wenn Ziele und Vorgehensweisen eng zwischen der EU, auf der vertraglichen Ebene von OSPAR (Nordatlantik und Nordsee) und HELCOM (Ostsee) sowie den nationalen Regierungen abgestimmt und mit großem Engagement verfolgt werden. Allerdings muss an dieser Stelle auch noch eimal auf die Notwendigkeit hingewiesen werden, zukünftig die Auswirkungen des Klimawandels stärker zu berücksichtigen. Denn fraglich ist, ob in sämtlichen Schätzungen, Modellrechnungen und Prognosen der vergangenen Jahre die Einflüsse des Klimawandels entsprechend berücksichtigt wurden.

Fakt ist, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, Ökosysteme wie die Ostsee vor dem Kollaps zu bewahren.

Die GRD fordert daher

  • die Reduzierung von Nähr- und Schadstoffeinträgen in Nord- und Ostsee
  • die Reduzierung der Kunststoffproduktion und des Kunststoffverbrauches sowie die Erhöhung der Lebensdauer von Produkten
  • die Optimierung der Abfallwirtschaft und die Verbesserung der Recyclingfähigkeit von Produkten
  • weitere Forschungsbemühungen zu den anthropogenen Belastungen der Meere sowie den Auswirkungen des Klimawandels
  • ein umfassendes und dauerhaftes Monitoring zum Zustand von Nord- und Ostsee
  • verbindliche international abgestimmte Maßnahmen zur Verbesserung des Zustandes!

Die Fachbeitragsreihe im Überblick

FACHBEITRAG I

Pinger, PAL und Co. – die Rettung des Schweinswals vor den tödlichen Stellnetzen in der Ostsee?
zum Fachbeitrag

FACHBEITRAG II

Anthropogener Lärm in Nord- und Ostsee – große Gefahr für die Meeressäuger
zum Fachbeitrag

FACHBEITRAG III

Wie der Mensch die marinen Ökosysteme an ihre Belastungsgrenze bringt – mit dem Hauptfokus auf dem Lebensraum der Schweinswale in Nord- und Ostsee

FACHBEITRAG IV

Wirksame Schutzgebiete – die einzige Chance zur Erhaltung der Populationen
zum Fachbeitrag

FACHBEITRAG V

Deutschlands „Walschutzgebiet“ vor Sylt und Amrum – ein Erfolgsmodell zum Schutz des Schweinswals?
zum Fachbeitrag

Literatur

[1].  Vgl. Popek, Marzenna u.a. (2023): Microplastics in Harbour Seawaters: A Case Study in the Port of Gdynia, Baltic Sea, in: Sustainability 15, no. 8, 6687. https://doi.org/10.3390/su15086678

[2]  Vgl. Deutsche Nord- und Ostsee sind nicht in gutem Zustand | Umweltbundesamt

[3]  Vgl. Zeile, Deniss (2023): Regenerative Infrastructures: postindustrial symbiotic waterscapes: The Case of Eutrophication of the Baltic Sea, Thesis Report 2023. FULLTEXT01.pdf (diva-portal.org)

[4]  Vgl. Zerbe, S. (2023). Marine Habitats in the North Sea and Baltic Sea, in: Restoration of Ecosystems – Bridging Nature and Humans. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-65658-7_13

[5]  Vgl. Baltic Sea Action Plan. 2021 update. https://helcom.fi/wp-content/uploads/2021/10/Baltic-Sea-Action-Plan-2021-update.pdf

[6]  Vgl. Murray, Ciarán J u.a. (2019): Past, Present and Future Eutrophication Status of the Baltic Sea, in: Front. Mar. Sci. Sec. Marine Ecosystem Ecology Volume 6 – 2019. Frontiers | Past, Present and Future Eutrophication Status of the Baltic Sea (frontiersin.org)

[7]  Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (Hg.) (2022): MSRL-Maßnahmenprogramm zum Schutz der deutschen Meeresgewässer in Nord- und Ostsee (einschließlich Umweltbericht), aktualisiert für 2022–2027. Bericht über die Überprüfung und Aktualisierung des MSRL-Maßnahmenprogramms gemäß §§ 45j i.V.m. 45h Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes. Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Nord- und Ostsee (BLANO), 30. Juni 2022. URL: https://www.meeresschutz.info/berichteart13.html?file=files/meeresschutz/berichte/art13-massnahmen/zyklus22/MSRL_Art13_Aktualisierung_Massnahmenprogramm_2022_Rahmentext.pdf

[8]  Vgl. Brockmann, Uwe/ Topcu, Dilek (2011): Klimaveränderung und Eutrophierung, in: Lozán, José u.a. (Hgg.): Warnsignal Klima. Die Meere. warnsingal_klima-die-meere-kapitel-3_7.pdf (uni-hamburg.de)

[9]  Vgl. Reckendorf, Anja u.a. (2023): Chemical Pollution and Diseases of Marine Mammals, in: Brennecke, Dennis u.a. (Hgg.): Marine Mammals. A Deep Dive into the World of Science. Marine Mammals: A Deep Dive into the World of Science | SpringerLink

[10]   Vgl. Van den Heuvel-Greve, Martine u.a. (2021): Polluted porpoises: Generational transfer of organic contaminants in harbour porpoises from the southern North Sea, in: Science of the Total Environment, Volume 796. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0048969721040080?via%3Dihub 

[11]   Vgl. Reckendorf, Anja u.a.: Chemical Pollution and Diseases of Marine Mammals, in: Brennecke, Dennis u.a. (Hgg.): Marine Mammals. A Deep Dive into the World of Science, 2023. Marine Mammals: A Deep Dive into the World of Science | SpringerLink

[12]  Vgl. Vanavermaete, David (2023): Short- and long-term assessment of PAH, PCB, and metal contamination in the Belgian part of the North Sea, in: ScienceDirect 310. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0045653522033987#sec4

[13]  Vgl. Umweltbundesamt (Hg.) (2022): Screening study on hazardous substances in marine mammals of the Baltic Sea. Screening study on hazardous substances in marine mammals of the Baltic Sea (umweltbundesamt.de)

[14]  Vgl. Van den Heuvel-Greve, Martine u.a. (2021): Polluted porpoises: Generational transfer of organic contaminants in harbour porpoises from the southern North Sea, in: Science of the Total Environment, Volume 796, 2021. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0048969721040080?via%3Dihub

 

[15]  Sterr, Horst (1996): Klimawandel und mögliche Auswirkungen auf die deutsche Nordseeküste, Schriftenreihe der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste, H.1/1996, S.9-30. https://sdn-web.de/wp-content/uploads/Themen-95-04-14_Klimawandel-und-m%C3%B6gliche-Auswirkungen-auf-die-deutsche-Nordseek%C3%BCste.pdf

[16]   Vgl. Kruse, Katrin u.a. (2023): Plastic Debris and Its Impacts on Marine Mammals, in: Brennecke, Dennis u.a. (Hgg.): Marine Mammals. A Deep Dive into the World of Science. Marine Mammals: A Deep Dive into the World of Science | SpringerLink

[17]   Vgl. Lenz, Mark u.a. (2023): Spatio-temporal variability in the abundance and composition of beach litter and microplastics along the Baltic Sea coast of Schleswig-Holstein, Germany, in: Marine Pollution Bulletin, Volume 190. https://doi.org/10.1016/j.marpolbul.2023.114830.

[18]  Meyerjürgens, Jens u.a. (2023): Sources, pathways, and abatement strategies of macroplastic pollution: an interdisciplinary approach for the southern North Sea, in: Front. Mar. Sci. Vol. 10, 24 April 2023. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmars.2023.1148714/full

[19]   Vgl. Saliba, Mayya u.a.(2022): Shipping spills and plastic pollution: A review of maritime governance in the North Sea, in: Marine Pollution Bulletin 181. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0025326X2200621X#s0095

[20]   Christensen, Asbjørn u.a.(2023): Simulating transport and distribution of marine macro-plastic in the Baltic Sea, in: PLoS ONE 18(1): e0280644. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0280644

[21]  Vgl. Goßmann, I., Herzke, D., Held, A. u.a. (2023): Occurrence and backtracking of microplastic mass loads including tire wear particles in northern Atlantic air. Nat Commun 14, 3707. https://doi.org/10.1038/s41467-023-39340-5

[22]   Vgl. Popek, Marzenna u.a. (2023): Microplastics in Harbour Seawaters: A Case Study in the Port of Gdynia, Baltic Sea, in: Sustainability 15, no. 8, 6687. https://doi.org/10.3390/su15086678

[23]   Vgl. Scholz-Böttcher, Barbara M. u.a. (2022): 30 years trends of microplastic pollution: Mass-quantitative analysis of archived mussel samples from the North and Baltic Seas, in: Science of The Total Environment, Volume 826. https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2022.154179

[24]  Vgl. Harris, Peter T. u.a. (2023): A marine plastic cloud – Global mass balance assessment of oceanic plastic pollution, Continental Shelf Research, Volume 255. https://doi.org/10.1016/j.csr.2023.104947 

[25]  Vgl. Nabi, Ghulam u.a. (2022): The adverse health effects of increasing microplastic pollution on aquatic mammals, in: Journal of King Saud University- Science, Volume 34. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1018364722001872

[26]  Vgl. Kakar, Farokh Laga u.a (2023): Chapter 16 – Climate change interaction with microplastics and nanoplastics pollution, in: Current Developments in Biotechnology and Bioengineering, Elsevier, Pages 387-403. https://doi.org/10.1016/B978-0-323-99908-3.00003-8

[27]  Vgl. Executive summary | Global Plastics Outlook : Policy Scenarios to 2060 | OECD iLibrary (oecd-ilibrary.org)

[28]  Vgl. Plastic pollution is growing relentlessly as waste management and recycling fall short, says OECD

[29]  Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (Hg.) (2022): MSRL-Maßnahmenprogramm zum Schutz der deutschen Meeresgewässer in Nord- und Ostsee (einschließlich Umweltbericht), aktualisiert für 2022–2027. Bericht über die Überprüfung und Aktualisierung des MSRL-Maßnahmenprogramms gemäß §§ 45j i.V.m. 45h Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes. Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Nord- und Ostsee (BLANO), 30. Juni 2022. URL: https://www.meeresschutz.info/berichteart13.html?file=files/meeresschutz/berichte/art13-massnahmen/zyklus22/MSRL_Art13_Aktualisierung_Massnahmenprogramm_2022_Rahmentext.pdf

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